Flashback
erhöhten Trassen durch den landschaftlich hinreißenden nordwestlichen Zipfel von Arizona bis nach Utah. Doch in den letzten zehn Jahren haben Banditen und Kampfverbände der kriegführenden Parteien die meisten Brücken und Trassen zum Einsturz gebracht.
Wegen der Gebirge, die an der Staatsgrenze wie eine Mauer nach Süden und Norden verlaufen, brauchen die Konvois auf den schlechten Behelfsstraßen – die im Grunde nur aus Furchen durch Steine und herabgestürzte Trümmer des alten Highways bestehen – einen ganzen Tag, um am Virgin River entlang nach Utah zu gelangen. Julio zeigte uns Satellitenaufnahmen der gewundenen Canyonstraße, wo die Lastwagen schutzlos den Angriffen von Banditen ausgesetzt sein werden, die von oben Felsen hinunterrollen lassen.
»Können wir nicht einfach außen rumfahren?«, fragte Val. »In nördlicher Richtung?«
Perdita erklärte uns, dass es auf den sechzig Kilometern nach Norden zwischen Mesquite und den winzigen, verlassenen Dörfern Carp und Elgin nur Wüstenpfade und trockene Rinnen gibt, gefolgt von über dreihundert Kilometern auf den alten Landstraßen 93 und 319 nach Utah.
»Die Trucker nennen die sechsundvierzig Kilometer durch Arizona Todesdiagonale«, erklärte Julio. »Man kommt nur langsam voran, und es ist gefährlich. Aber es geht immer noch schneller als mit irgendwelchen unüberlegten Umwegen. Wir sind Auftragsfahrer. Wir müssen pünktlich sein.«
Heute Nacht schlafen wir also kurz vor dem verlassenen Ort Bunkersville in einem Verteidigungsring am Highway. Der Name passt, weil noch einige Militärbunker stehen.
Eineinhalb Kilometer östlich erheben sich die Berge wie ein beängstigendes Hindernis aus einem von Tolkien inspirierten Film. Die Öffnung zum Virgin River und zur ehemaligen Interstate 25 sieht aus wie ein weit aufgerissener, dunkler Rachen, der auf uns wartet.
Beim ersten Tageslicht brechen wir auf. Perdita versichert uns, dass wir wegen des Aufklärungshubschraubers und der Feuerkraft des Konvois wohl kaum eine ernste Konfrontation zu befürchten
haben – nur eine zehnstündige Holperfahrt im Schneckentempo.
»Das erinnert mich an die alten Fliegerfilme über den Zweiten Weltkrieg, die ich zusammen mit meinem Alten immer angeschaut hab«, sagte Val vorhin. »Die Konvois sind wie diese Bomber, die sich zum Schutz gegen deutsche Kampfflugzeuge dicht zusammendrängen.«
Es war das erste Mal seit mehreren Jahren, dass Val nicht mit offener Feindseligkeit über seinen Vater sprach.
Um neun Uhr am Abend sind alle Feuer gelöscht, und man hört keine unbeschwerten Scherze mehr. Die Stimmung ist gedrückt, niemand lacht. Alle wissen, dass uns morgen ein besonders gefährlicher Teil unserer Reise bevorsteht, doch kaum einer verliert ein Wort darüber. Alles ist geplant und vorbereitet.
Ich habe schreckliche Angst vor dem sechsundvierzig Kilometer langen Spießrutenlauf, doch Val wirkt aufgeregt …, fast begeistert. Vermutlich die Unsterblichkeit der Jugend.
Später, nachdem sich alle zurückgezogen hatten, redete ich mit ihm. Gerade hatte er sein kleines Handy abgeschaltet und den Ohrstöpsel herausgezogen.
Das alte Telefon war mir bereits in der zweiten Nacht aufgefallen, und ich sprach Val darauf an. Schließlich hat er mein Telefon zerstört, damit ihn die Behörden nicht aufspüren können. Er erklärte mir, dass es das Handy seiner Mutter ist und dass er schon längst alle GPS-Chips weggeworfen hat. Widerstrebend verriet er mir, dass er nur die Tagebucheinträge aktiviert, um die Stimme seiner Mutter zu hören.
Bei diesem Geständnis setzte wieder das Ziehen in meiner Brust ein, das ich manchmal spüre und das mich sogar schon zum Arzt geführt hat, der mir aber nichts Eindeutiges sagen konnte.
Val zeigte sich ungewohnt gesprächig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass seine gute Stimmung und Offenheit auf den Marihuanajoint zurückzuführen waren, den er vor einer Stunde beim letzten Lagerfeuer zusammen mit Julio, Henry Big Horse Begay, Gauge Devereaux und Cooper Jakes geraucht hatte. Nach meinem Eindruck hat Val in den letzten Jahren häufig Flashback und vielleicht auch ab und zu stärkere Drogen wie Kokain genommen, aber nie mit seinen Freunden Gras geraucht.
Als wir auf unseren Pritschen unter dem durchsichtigen Frontspoiler aus Kevlarglas lagen und die hellen Sterne über uns hatten – die erstaunlich wirksame Falttür zwischen unserem Raum und dem Bett der Romanos war zugezogen –, setzte Val ein ziemlich untypisches,
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