Flashback
in all den »Sintfluten der Scheiße«, die Amerika zu seinen Lebzeiten heimgesucht haben.
Val kann anscheinend gar nicht genug bekommen von den bissigen, aber fast schon jambischen Bemerkungen des alten Einzelgängers. Und gestern hat er etwas zu mir gesagt, das mich aufhorchen ließ. Seinem Ton fehlte jede Verachtung, Reserviertheit und Ironie, die all seine Worte zu mir in den letzten vier Jahren geprägt haben. »Ich könnte Trucker werden, Grandpa.«
Ich antwortete nicht, obwohl mir angesichts dieser wenigen vertrauensvollen Worte fast die Tränen gekommen wären (unter anderem auch, wie ich zugeben muss, wegen des kindlichen »Grandpa«, das ich so vermisst hatte). Seit seinem zwölften Lebensjahr hat Val nicht mehr davon gesprochen, etwas werden oder sein zu wollen – wenn man von seinem Versuch absieht, sich in ein schwarzes Loch der Enttäuschung zu verwandeln, was schon fast an Nihilismus grenzte.
Doch ehe ich zu sentimental werde, muss ich mir ins Gedächtnis rufen, dass mein Enkel letzte Woche wahrscheinlich jemanden getötet hat. Oder es zumindest probiert hat.
Als er am Freitagabend in Los Angeles die Fotografie seines toten Freundes William Coyne auf dem 3-DHD-Bildschirm sah, war das sichtlich ein Schock für ihn, und er lief ins Bad, um sich zu übergeben. Das Einzige, was ich in den achtundvierzig Stunden seit Beginn unserer Flucht über den Anschlag auf Berater Omura aus ihm herausbekommen habe, war: »Ich war mit diesen bescheuerten Arschlöchern zusammen, aber ich hab nicht auf Omura geschossen, Grandpa, das schwör ich.«
Doch Val hat sich nicht klar dazu geäußert, ob er vielleicht auf jemand anderen geschossen hat. Und Vals heftige Reaktion, wenn ich Coynes Namen erwähne – er schaut sofort in eine andere Richtung und erstarrt am ganzen Körper –, legt den Schluss nahe, dass zwischen den beiden Jugendlichen an diesem letzten Abend irgendetwas vorgefallen ist.
Was auch immer hinter seinem Trauma in L. A. steckte, Val bewältigte es in den ersten Tagen und Nächten durch viel Schlaf, wenn wir nicht gerade Rast einlegten. Sein häufiges Zucken und Beben im Schlaf brachte mich auf den Gedanken, dass er vielleicht Flashback genommen hatte, doch als ich flüchtig seine Reisetasche durchsuchte, stieß ich auf keine Ampullen mit der Droge.
Allerdings fand ich eine schwarze Pistole, die ich zuerst wegwerfen wollte, aber dann doch in der Tasche ließ. Vielleicht brauchen wir sie noch auf dieser Reise.
Als Val nach der ersten Hälfte unseres Exils untertags wieder wach war, hörte ich zu, als er Julio und Perdita einmal nach den Sicherheitsvorkehrungen unseres Konvois fragte.
Offenbar besteht der Zug aus dreiundzwanzig Sattelschleppern, von denen einige mit schweren Maschinengewehren und anderen Schusswaffen ausgerüstet sind. Julio und Perdita verlassen sich auf eine einzige, zwölfschüssige Pumpgun, die an
der hinteren Wand des Führerhauses hängt. Begleitet wird der Konvoi von vier Kampffahrzeugen und einem kleinen Aufklärungshubschrauber. Die Kampffahrzeuge – die Einzelheiten ihrer Ausstattung habe ich vergessen, doch Val verschlang alle Angaben über Kaliber, Pferdestärken und Panzerung mit großem Interesse – sind mit Söldnern eines Sicherheitsunternehmens namens TrekSec besetzt und werden von den selbstständigen Lastwagenfahrern oder ihren Firmen bezahlt.
Auf ihrem Satellitennavigationssystem zeigte uns Perdita, dass ungefähr fünfundzwanzig Kilometer vor uns ein weiterer, aus siebzehn Sattelschleppern bestehender Konvoi fährt und etwa vierzig Kilometer hinter uns auf der I-25 ein noch viel größerer Tross unterwegs ist.
Laut Julio sind auf der Strecke von Las Vegas über Mesquite nach St. George die Banditen das Hauptproblem, auch wenn die Reconquista noch gelegentlich Vorstöße in die südlichen Gebiete von Nevada unternimmt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, Las Vegas zu besetzen, sind die militärischen Operationen der Reconquista in diesem Landstrich immer seltener geworden. Julio fügte hinzu, dass die zunehmend schlagkräftigen Überfälle der Angloguerilla in der Gegend von Kingman und Flagstaff die Besatzungstruppen von Nuevo Mexico in den letzten zwei Jahren stark gebunden haben.
Die unmittelbare Bedrohung für uns liegt offenbar gleich hinter dem umkämpften und schon fast verlassenen Ort Mesquite, wo die I-25 die Grenze von Nevada nach Arizona überquert. Früher erstreckte sich der Highway sechsundvierzig Kilometer weit überwiegend auf
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