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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Größe von Reno und Carson City, die über eigene Reaktoren verfügen, aber trotzdem fast achtzig Prozent ihrer Einwohner verloren haben –, konnte ich mir vorstellen, wie Las Vegas erstrahlt, wenn der Mantel der Nacht über diesen Teil des amerikanischen Westens fällt.
    Neben dem Flackern und Funkeln der Stadt und ihrer durchsichtigen Mauern, aus denen der goldene Schein eigener Hotels und Casinos dringt, gab es auch draußen in der Wüste Myriaden von Lichtern: Tausende von riesigen Lastwagen mit strahlenden Scheinwerfern und riesige Lagerfeuer, für die das Holz aus über tausend Kilometern Entfernung herangeschafft wird.
    Beim Anblick des festlichen Treibens außerhalb der Stadtmauern – Rodeos und Jahrmärkte, Wanderzirkusse mit erleuchteten Riesenrädern und Achterbahnen, Hunderte von Schenken, Kneipen und Bars in Zelten, Motorrad- und Motocrossrennen, vermischt mit Bordellen in Zeltstädten, die immer wieder abgerissen und aufgebaut werden als eine permanente Durchgangsstation außerhalb der Mauern einer Stadt, die selbst eine Art Durchgangsstation für die Millionen von Millionären ist, die immer noch die bankrotte Erde bevölkern (mein Enkel Val nennt mir die Namen der Maschinen, der rot und grün blitzenden, mit gleißenden Landescheinwerfern herabtauchenden Learjets, Gulfstreams, Hawker Siddeleys, Falcons, Cessna Citations, Challengers und der überschallschnellen Suchoi Putins, die alle paar Sekunden auf dem McCarran Airport landen) – wird mir klar, dass Las Vegas innerhalb wie außerhalb der Mauern in
Amerika die größte Ausnahme von der inzwischen unumstößlichen Regel ist, dass man sich nicht in großen Menschenmengen versammeln soll.
    Julio und Perdita Romano und Tausende andere Lastwagenfahrer und Passagiere, die dort draußen vor den schimmernden Wällen von Las Vegas feiern, müssen keine Selbstmordattentäter in ihrer Mitte befürchten. Die Trucker – Kanadier, die nach Mexiko unterwegs sind, Mexikaner, die ihre Ladung von südlich der alten Grenze nach Kanada transportieren, Amerikaner, deren Ziele in allen Himmelsrichtungen liegen – haben zu viel durchgemacht und zu schwer gearbeitet für diese ein, zwei Tage Erholung und Spaß, um das alles mit Bombenanschlägen oder politischen Morden zu verderben.
    Dieser Wahnsinn bleibt dem Rest der Nation vorbehalten.
     
    Der Peterbilt 417, den Julio und Perdita besitzen und betreiben, ist eine unglaubliche Maschine. Der vordere Teil des Führerhauses mit den zwei wuchtigen, gepolsterten Ultra-Ride-Sitzen und dem Armaturenbrett auf der Fahrerseite ist ihr Reich. Val und ich reisen auf zwei bequemen Notsitzen dahinter, die etwas höher angebracht sind als die vorderen Plätze. Hinter den Notsitzen befinden sich ein breites, komfortables Bett für die Romanos – untertags immer makellos gemacht und nur selten von beiden gleichzeitig benutzt, weil meistens einer von ihnen fährt – und mit einer Falttür abgetrennt ein kleinerer Schlafraum unter dem durchsichtigen Frontspoiler.
    Wenn Val und ich hier vor dem Schlafen noch ein wenig plaudern, dehnt sich über uns der Himmel voller blinkender Sterne. Wenn wir uns auf unserem behaglichen Pritschenbett aufsetzen, können wir über die Motorhaube des Peterbilt hinausblicken und sehen, wie der Highway auf uns zujagt.
    In den ersten Tagen nach unserer Flucht hat Val kaum ein
Wort gesprochen, doch jetzt redet er, sieht mir in die Augen und benimmt sich auch sonst wieder ganz normal. Um ehrlich zu sein, gleicht dieser neue Val – wenngleich ihn die jüngsten Ereignisse, von denen er noch immer nichts erzählt, gewiss erschüttert haben – viel mehr dem interessanten und intelligenten Jungen, der vor fünf Jahren zu mir gezogen ist. Den mürrischen, verschlossenen Teenager, der immer am Rand eines gewalttätigen Ausbruchs schien, konnte ich zuletzt kaum mehr ertragen.
    Der Freitagabend war ein Alptraum.
    Ich war kurz davor, Val zu suchen oder die Polizei oder seinen Vater anzurufen – dabei wusste ich nicht, ob ich ihn als vermisst melden oder ihn als möglichen Kriminellen anzeigen sollte. Da stürzte Val zur Tür herein und zertrampelte mein Telefon. Dann schauten wir uns beide im Fernsehen die Gesichter seiner toten Flashgangfreunde an. Zweifellos stand Val unter Schock – er war bleicher als Papier. Doch dieser Schock raubte ihm nicht seine Kräfte, wie es mir und den meisten anderen Menschen ergangen wäre, sondern verwandelte den Sechzehnjährigen in eine kalte, roboterhafte, aber überaus

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