Flashback
die
Amerikaner unsere Insel und unsere Kultur gezwungen haben, sich der Welt und schon fast dem zwanzigsten Jahrhundert zu öffnen. Aber seien Sie vorsichtig mit Ihrer Herablassung, Bottom-san. Seii Taishōgun heißt ›großer General, der die Barbaren aus dem Osten unterdrückt‹.«
»Das sind wir«, meinte Nick. »Die Gaijin. Die fremden Teufel.«
» Hai . Fremd, aber keine Teufel. So denken und reden nur die Chinesen. Sie sind die größten Rassisten der Welt. Nicht die Japaner. Gaijin heißt wörtlich übersetzt ›Menschen von draußen‹.«
»Auf jeden Fall will Ihr Chef, Mr. Nakamura, ein moderner Shōgun sein.«
»Natürlich. Genauso wie die Oberhäupter der Keiretsu Munetaka, Morikune, Toyoda, Omura, Yoritsugo, Yamashita und Yoshiake. «
»In Kalifornien gibt es einen Omura als Berater und irgendwo im mittleren Westen – Indiana oder Illinois? – einen Yoritsugo.«
» Hai , Bottom-san. Und in Ohio.«
»Die Funktion als Bundesberater in den US A ist also ein großer Schritt auf dem Weg zum Shōgunat in Japan?«
»Möglicherweise ja. Es hängt davon ab, ob das betreffende Oberhaupt eines Keiretsu-Clans hier als Berater Erfolg hat oder nicht. Ob seine Ehre wächst oder abnimmt. Denn auch das ist in den letzten Jahrzehnten zurückgekehrt – die lang vergessene zentrale Stellung von Ehre und Opfermut. Die Gedanken und Handlungen vieler Japaner werden wieder von Bushido geleitet, dem Weg des Kriegers, der Ehre bis zum Tod verlangt.«
»Bis hin zum – wie heißt es gleich wieder – Seppuku, wenn man scheitert.«
»O ja.«
»Aber wozu das Ganze?«, fragte Nick.
»Wozu, Bottom-san?«
»Die demografische Entwicklung in Japan ist doch genauso verhängnisvoll
wie in Griechenland, Italien, Holland, Russland und all den anderen Ländern der alten Welt – sinkende Geburtenrate. Die Griechen sind fast ganz verschwunden. In jedem zweiten europäischen Land sind die Einheimischen zum größten Teil von muslimischen Einwanderern verdrängt worden … «
»Ja, Bottom-san. Aber Nippon lässt diese Einwanderung nicht zu, weder von Muslimen noch Koreanern noch von anderen.«
»Mag sein, aber darum geht’s mir nicht. Die Geburtenrate von Japan sinkt doch immer noch. Als ich zwanzig war, hatte das Land ungefähr einhundertsiebenundzwanzig Millionen Einwohner. Und jetzt, gute zwanzig Jahre später, sind es nur noch … wie viel? Neunzig Millionen?«
»Knapp über siebenundachtzig Millionen«, bestätigte Sato.
»Und der Rückgang ist ungebrochen. Fast vierzig Prozent der Japaner sind fünfundsechzig oder älter. Das ist wirklich alt, Mann. Kein Nachwuchs für Behörden, Fabriken und Armee in Sicht. Was hat Nakamura – oder irgendeiner von den anderen milliardenschweren Keiretsubonzen – davon, wenn er Shōgun von einem Land wird, in dem nur noch alte Knacker übrig sind?«
»Sehr richtig, Bottom-san. Deshalb müssen wir China erobern.«
»China erobern?« Nicks Helmriemen ließ nicht zu, dass seine Kinnlade nach unten rutschte. »Ich dachte, unsere Jungs kämpfen dort in japanischem Auftrag für die Vereinten Nationen, um den Bürgerkrieg in China zu beenden.«
Sato schwieg.
»Sie planen also, China zu erobern?« Nick hatte Mühe, das Gehörte zu verdauen. »Siebenundachtzig Millionen in die Jahre gekommene Japaner wollen sich ein Land mit einer Bevölkerung von einskommasechs Milliarden Leuten unter den Nagel reißen?«
»Sehr richtig. Denn China ist ein Land mit einskommasechs Milliarden Menschen, das noch viel schlimmer abgestürzt ist als die USA, Bottom-san. Wirtschaftlicher Zerfall. Kulturelles Chaos.
Stagnation. Unruhen. Militäraufstand. Kompletter Zusammenbruch des überholten kommunistischen Regimes. Lokale Machthaber. Bürgerkrieg.«
»Und Japan möchte sich ein Stück vom Kuchen abschneiden.«
» Hai , Bottom-san. Nur ein Stück. Vielleicht ein Drittel – aber das produktivste Drittel. Unter anderem Shanghai, Peking, Hongkong. Indien, das ebenfalls an der U N-›Friedensmission‹ dort beteiligt ist, kann gern über den Rest verfügen. Unsere Verhandlungen mit Indien laufen bereits.«
Indien mit seinen inzwischen einskommaacht Milliarden oder noch mehr Einwohnern. Heilige Scheiße, Japan, Indien, Indonesien und das Islamische Kalifat teilen untereinander die Welt auf, während wir Flashback einatmen und uns gegenseitig in die Luft sprengen.
Nick schaffte es irgendwie, nicht zu weinen, zu lachen oder den Mond anzuheulen, der soeben über dem rauchdunstigen östlichen Horizont aufging.
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