Flashback
Wahrscheinlich werden wir uns nie wiedersehen …, zumindest nicht in diesem Leben. Geh mit Gott, mein lieber Freund.«
»Und ich wünsche dir viel Glück, Emilio.«
Draußen im Korridor warteten Leonards Begleiter und Emilios Sohn Eduardo mit drei Bewaffneten.
An diesem Abend kam Val schon früh nach Hause, rechtzeitig zum Essen. Als sie sich zu ihrer Mahlzeit aus der Mikrowelle niedergelassen hatten, erzählte Leonard seinem Enkel von dem Plan, am folgenden Tag um Mitternacht die Stadt zu verlassen. Seine Formulierung ließ dem Jungen keine andere Wahl.
»Soviel ich weiß, braucht der Konvoi ungefähr zehn Tage nach Denver«, schloss Leonard. »In eineinhalb Wochen siehst du deinen Vater wieder.«
Val betrachtete ihn gelassen, fast taxierend. Leonard war auf Einwände gefasst, aber es war beschlossene Sache. Wenn nötig, würde er Emilio beim Wort nehmen, der ihm angeboten hatte, Val von zwei Reconquistakämpfern zum Treffpunkt bringen zu lassen.
Vals Antwort kam völlig überraschend. »Am Freitag um Mitternacht? Ein Konvoi nach Denver? Hervorragende Idee, Leonard. Was nehmen wir mit?«
»Was wir in zwei kleine Reisetaschen bringen«, antwortete Leonard verblüfft. »Dazu gehört auch die Verpflegung für die Fahrt.«
»Super. Dann pack ich schon mal die paar Klamotten, die ich mitnehmen will. Vielleicht noch zwei Bücher. Das reicht für mich.«
Leonard konnte noch immer nicht glauben, dass es so glatt gelaufen war. »Du musst morgen nicht zur Schule. Und niemand darf erfahren, dass wir verschwinden, Val. Sonst legt uns noch jemand Steine in den Weg.«
»Okay.« Der Blick des Sechzehnjährigen trübte sich leicht, als wäre er in Gedanken anderswo. »Ich werd trotzdem in die Schule gehen. Ich muss noch ein paar Sachen aus meinem Spind holen. Aber um neun bin ich zu Hause.«
»Spätestens um neun!« Leonard hatte Angst, dass der Junge mit seinen Freunden am Abend noch etwas anstellen könnte.
»Spätestens um neun, Grandpa. Versprochen.«
Verdattert starrte Leonard ihn an. Wann hatte Val ihn zum letzten Mal Grandpa genannt? Er konnte sich nicht erinnern.
FREITAG
Den ganzen Tag über war Leonard krank vor Sorge. Die beiden mit Energieriegeln, Trinkflaschen und wenigen Kleidern und Büchern vollgepackten Reisetaschen standen in der Nähe der Küchentür, als wollten sie den alten Mann verhöhnen.
Eigentlich hätte er Nick Bottom anrufen und ihm erzählen müssen, dass sie bald kamen, doch dann verschob er es wieder. Er wollte damit warten, bis sie wirklich unterwegs waren.
Ich kann es nicht glauben. Er würde es erst glauben, wenn sie die Grenze von Kalifornien nach Nevada überquert hatten.
Kurz nach acht kam Val nach Hause. Seine Kleider waren dreckverschmiert, und er hatte Blutflecken an der Stirn und am Hemd. Seine Augen waren groß.
»Leonard, gib mir dein Telefon!«
»Was? Was ist los? Was ist passiert?«
»Gib mir das Scheißtelefon!«
Leonard reichte dem völlig aufgelösten Jungen das Handy und fragte sich, wen er so dringend anrufen musste. Doch Val stampfte mit dem Absatz seines schweren Stiefels auf das Telefon – einmal, zweimal, bis die Teile herausquollen. Dann schnappte er sich den Chip und rannte hinaus.
Leonard war so verblüfft, dass er ihm nicht nachlief.
Nach drei Minuten kehrte Val keuchend zurück. »Ich hab ihn auf die Ladefläche von einem Liefer wagen geworfen, der nach Westen fährt.«
»Val, setz dich. Du blutest ja.«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Nicht mein Blut, Grandpa. Schalt den Fernseher ein.«
Der Nachrichtenkanal Los Angeles war mitten in einer Sondermeldung.» … Terroranschlag bei der Neueinweihung des Disney Center für darstellende Künste am Abend. Auf Berater Daichi Omura wurden Schüsse abgegeben, er blieb aber unverletzt. Wir wiederholen, Berater Omura hat den Terroranschlag unversehrt überstanden. Zwei seiner Leibwächter wurden leicht verletzt, mindestens fünf Terroristen wurden getötet. Wir zeigen nun erste Bilder … «
Leonard hörte die Worte des Sprechers nicht mehr. Zumindest begriff er nicht, was er da hörte.
Auf dem Monitor erschienen die Gesichter mehrerer toter Terroristen. Alles Halbwüchsige. Ihre Gesichter waren blutverschmiert, die Augen starrten glasig und leer. Die Kamera stoppte beim letzten Gesicht.
Der junge William Coyne.
Entsetzt wandte sich Leonard seinem Enkel zu. »Was hast du getan?«
Val hatte beide Reisetaschen in der Hand und stieß ihm eine gegen die Brust. »Wir müssen abhauen, Leonard.
Weitere Kostenlose Bücher