Flashback
sieben Jahren als Streifenbeamter erst knapp ein Jahr Erfahrung als Detective dritten Grades hatte, und Coleman, der schon seit fünfundzwanzig Jahren beim DPD und seit neun Jahren Detective ersten Grades war wie Nick – gaben ihm in dieser Nacht deutlich zu verstehen, dass er so überflüssig war wie ein Sandkasten in der Sahara.
Trotzdem hatte Nick in dem Einsatzfahrzeug vor sich hin gezittert – um Energie zu sparen, hatten sie die Batterien abgeschaltet – und die für Über wachungaktionen typische Geruchsmischung aus Schweiß, altem Autoplastik, Kaffeeatem und gelegentlichen leisen, aber umso tödlicheren Fürzen eingeatmet. Und dabei hatte er sich eingestanden, dass er das in seiner Zeit als Straßenpolizist geliebt hatte.
Das Flashbacknacherleben dieser Stunde hatte Nick daran erinnert, dass er Dara kurz vor Mitternacht angerufen hatte. Eigentlich wollte er das schon früher tun, aber zuerst hatte er in einer rund um die Uhr geöffneten Eckkneipe Kaffee für Coleman und Cummings besorgt. So oder so, sie nahm nicht ab. Nick war überrascht, aber nicht besorgt.
Wenn er auf der Straße arbeitete, hatte sie das Telefon normalerweise immer eingeschaltet. Dank Flashback war ihm zwar wieder eingefallen, dass er sie am Nachmittag angerufen und ihr von seinen Überstunden am Abend erzählt hatte. Aber er hatte nicht erwähnt, dass ihm ein Überwachungseinsatz bevorstand. Und wenn sie wusste, dass er in seinem Büro im Präsidium war, stellte sie ihr Handy oft ab.
In dieser Nacht hatte er ungefähr drei Stunden Schlaf auf der
Couch im Präsidium bekommen und war vom Anruf des Dezernatsleiters geweckt worden, der ihm und seiner Partnerin K. T. Lincoln den Mordfall Keigo Nakamura übertrug. Es hieß, dass die vor ihnen an den Tatort gerufenen Detectives nicht das nötige Fingerspitzengefühl für diesen brisanten Fall mitbrachten. Nick war damals noch so was wie der Star des Dezernats, und K. T. brachte durch Hautfarbe, Geschlecht und sexuelle Orientierung ein Moment ausgleichender politischer Korrektheit ins Spiel. (Der Leiter gab sogar zu, dass er den Fall am liebsten einem japanischen Detective anvertraut hätte, aber sie hatten keinen. Im gesamten Denver Police Department, so räumte er ein, gab es nur einen einzigen Beamten japanischer Abstammung, und das war eine Anfängerin im Streifendienst, die sich gerade in der Five Corners Area ihre Sporen verdiente.)
Mit einer Fünfzehn-Minuten-Ampulle erlebte Nick seinen Anruf bei Dara am Morgen nach. Sie nahm die Nachricht merkwürdig unaufgeregt hin, obwohl die Klärung des Falls für ihn einen großen Karrieresprung bedeutet hätte. Als Assistentin eines stellvertretenden Bezirksstaatsanwalts kannte sie sich in diesen Dingen aus. Doch sie klang müde, fast benommen. Als Nick erwähnte, dass er versucht hatte, sie gegen Mitternacht anzurufen, entstand eine Pause – die dem späteren Nick auf Flashback viel stärker auffiel als dem koffeinaufgeputschten Nick von damals –, und sie antwortete, dass sie das Telefon ausgeschaltet hatte und nach einer Schlaftablette früh ins Bett gegangen war.
Die dreisekündige Bildsequenz von Daras Gesicht auf der Straße vor Keigos Wohnung in der Mordnacht verfolgte Nick mehr als alles andere seit ihrem Tod. Er hatte die Aufnahmen auf sein Telefon geladen und sie auf dem wandbreiten, hochauflösenden 3-D-Monitor in seiner Wabe zigmal angeschaut. Manchmal war er sich völlig sicher, dass es Dara war; dann geriet er wieder ins Zweifeln und sagte sich, dass die Frau nicht einmal aussah wie Dara.
Noch drei weitere Male hatte er mit Fünfzehn-Minuten-Ampullen das Telefongespräch nacherlebt, in dem er ihr von Keigos Ermordung erzählt hatte; zuletzt flashte er zweimal eine Stunde auf die erste Begegnung mit ihr am darauffolgenden Abend.
Wirkte sie an diesem Abend irgendwie unecht? Verheimlichte sie ihm etwas?
Verlor er allmählich den Verstand?
Hatte er ihn schon längst verloren?
Was inzwischen allgemein als Six Flags Over the Jews bezeichnet wurde, lag gleich links von der Überführung, wo der Speer Boulevard in die I-25 mündete. Hinter dem Highway, südwestlich des ausgedehnten Komplexes ragte das Heimatschutzstraflager Mile High auf.
Nick hatte sich schon öfter gewundert, warum das Flüchtlingslager den Namen Six Flags trug, da der damalige Freizeitpark nur fünf oder sechs Jahre zu Beginn des Jahrhunderts im Besitz des gleichnamigen Unternehmens gewesen war. Über hundert Jahre lang davor und auch noch mehrere
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