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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nicht so stark, wie es seinem Großvater lieb gewesen wäre. Wie die meisten amerikanischen Highschoolschüler in dieser Ära politisch bestimmter Lehrpläne wäre Val außerstande gewesen, die genauen Daten des amerikanischen Bürgerkriegs anzugeben.
    War Val vor der Einberufung davongelaufen? Leonard wusste, dass das Zehntausende sechzehnjährige Amerikaner versuchten.
    Aber er hatte doch noch fast zwölf Monate vor sich. Bestimmt
war Vals Angst vor dem Militär und den Kampfeinsätzen in Übersee nicht so groß, dass er schon jetzt den Kopf verlor.
    Als wollte er sich zu Leonards Gedanken äußern, verkündete der im Hintergrund laufende TV-Nachrichtensender – bei den über sechzig Satellitenkanälen dieser Art war für praktisch jede nur vorstellbare politische Haltung etwas Passendes dabei –, dass »Streitkräfte der Vereinten Nationen nach heftigen Gefechten mit Rebellen des lokalen chinesischen Machthabers Lufei Zhongzheng die Stadt Langzhong erobert« hatten. Leonard hatte keine Ahnung, wo Langzhong lag und forschte auch nicht im Telefon nach. Das alles spielte keine Rolle.
    Hinter der Floskel »Truppen der Vereinten Nationen«, deren Kämpfe in China in Nachrichtensendungen gemeldet wurden, verbargen sich schlicht und ergreifend amerikanische Truppen. Indien, Japan und die G-5 dominierten den erweiterten Sicherheitsrat so stark, dass die UN ihre Anweisungen befolgte, ohne auch nur mit einem Veto zu drohen. Spielten sich die Kämpfe dagegen auf dem Balkan, in Afrika oder in der Karibik ab, dann waren die »UN-Streitkräfte« Russen, die es genauso bitter wie die Amerikaner nötig hatten, mit der Entsendung von Militär Geld zu verdienen.
    Seufzend nahm Leonard das kleine Telefon von der einen in die andere Hand. Er erkannte, dass er sich auf typische Akademikerweise mit vagen historischen und abstrakten Grübeleien von realen Sorgen und Ängsten ablenkte, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit entschlossenen Handelns. Inzwischen war es schon fast halb elf. Er musste wohl Vals Vater in Denver anrufen. Ihm blieb keine andere Wahl. Der Junge konnte entführt worden sein, vielleicht lag er verletzt oder tot in einem Graben irgendwo in einer abgesperrten und nicht mehr reparierten Erdbebenzone in der Nähe der alten Highways. Flashgangs wie die von Val trieben sich gern an solchen Orten herum.

    Damit hatte sich Leonard zum ersten Mal praktisch eingestanden, dass Val sehr wahrscheinlich einer Flashgang angehörte.
    Mit einem erneuten Seufzen hob er die Hand, um Nick Bottoms Nummer einzutippen.
    Genau in diesem Augenblick kam Val durch die Tür gestapft. Er roch nach Benzin und etwas Schärferem. Schießpulver? Kordit?
    Ohne seinen Großvater eines Blickes zu würdigen, ging der Junge sofort in sein Zimmer. Kurz darauf wummerte Deathcult Rock durch die verschlossene Tür.
    Zornig marschierte Leonard hin und riss die Faust hoch, um sie an die Tür zu schlagen. Doch dann hielt er inne. Was hätte er dem Jungen Neues sagen sollen? Welches Ultimatum sollte er ihm stellen, das er ihm nicht schon gestellt hatte?
    Resigniert kehrte Leonard in sein Büro zurück und setzte sich in den schwachen Lichtkegel der einzigen Schreibtischlampe.
    Morgen musste er Emilio aufsuchen. Im Moment konnte er nur hoffen, dass Val und seine Kumpel bei irgendeinem kleinen Vergehen ertappt wurden. Jugendlichen Ersttätern pflanzte die Polizei einen Chipsender ein. Das würde Leonard die Kosten für die Software ersparen.
    Leonard schämte sich für diesen Gedanken. Trotzdem wünschte er sich, dass es so kam.
    DONNERSTAG
    Nachdem Val am Morgen zur Schule aufgebrochen war, hängte sich Leonard eine Leinentasche mit den Ersparnissen seines ganzen Lebens über die Schulter und machte sich auf den Weg zu Emilio.
    Mit dem Fahrrad steuerte Leonard vorbei am Straflager Dodger Stadium und fuhr unter dem Pasadena Freeway durch, wo der
Sunset Boulevard zur Cesar Chavez Avenue wurde. Die Gegend wurde immer verwahrloster, und Leonard bekam Angst, dass ihm jemand sein Fahrrad rauben und dabei gleich noch die über eine Million neue Bucks in seiner Umhängetasche erbeuten würde. Mit zunehmendem Alter setzte sich in Professor George Leonard Fox immer mehr die Überzeugung fest, dass man im Leben immer auf die größten Gemeinheiten gefasst sein musste.
    Doch niemand überfiel ihn auf seiner Fahrt nach Osten.
    Am mittleren Vormittag erreichte er die Union Station, ein Wahrzeichen, das er liebte. Einmal hatte er sich an einem Wochenende mit seiner Tochter

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