Flashback
hier?«
»Ungefähr sechsundzwanzigtausend. Vielleicht zweihundert mehr oder weniger.«
Noch vor sechs Jahren betrug die Zahl der Bewohner zweiunddreißigtausend. Nick wusste, dass viele israelische Flüchtlinge schon älter waren und dass die Krebsrate in allen Lagern erschreckend hoch war. Kaum einer wurde von hier entlassen, um ein normales Leben zu führen.
Er traf den Dichter in einem leeren Kantinenzelt unter den rostenden Stahlspulen und Säulen einer ehemaligen Hochgeschwindigkeitsattraktion.
Oz’ Handschlag war apathisch, feucht, knochig und schwach. Nick hatte Danny Oz soeben noch auf Flashback und in der 3-D-Tatort-Nachgestaltung in Keigo Nakamuras Wohnhaus gesehen, und es konnte kein Zweifel bestehen, dass der Mann in den letzten sechs Jahren furchtbar gealtert war. Der damals knapp über fünfzigjährige Oz hatte auf passend poetische Weise leicht schwindsüchtig gewirkt, und sein Haar war zwar schon stark ergraut gewesen, aber die dünne Gestalt schien voller Energie wie eine angespannte Feder, und seine Augen entsprachen in ihrer Lebhaftigkeit der Unterhaltung mit ihm. Jetzt hingegen hatte er die Ausstrahlung einer Leiche: Haut und Augen von Gelbsucht verfärbt; das Haar schmutzig weiß, die Zähne nikotinfleckig; die halbwegs attraktiven Lachfalten eines Gelehrten verwandelt zu tief eingegrabenen Furchen in der viel zu straff über den Schädel gespannten Haut.
Nick wusste, dass Danny Oz beim sogenannten Zweiten Holocaust eine strahlungsbedingte Krebserkrankung davongetragen hatte – die wahren Gläubigen hatten elf äußerst schmutzige Bomben eingesetzt –, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, welches Organ betroffen war.
Das war auch unwichtig. Es war leicht zu erkennen, dass der Dichter von innen zerfressen wurde.
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen, Detective Bottom.
Haben Sie den Mörder des jungen Mr. Nakamura je gefasst? «
»Den Detective vor meinem Namen können Sie weglassen, Mr. Oz«, erwiderte Nick. »Die Truppe hat mich vor fünf Jahren rausgeschmissen. Und nein, was den Mörder von Keigo Nakamura angeht, tappen sie noch genauso im Dunkeln wie damals.«
Danny Oz nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette – erst jetzt merkte Nick, dass es Cannabis war, vielleicht wegen der Krebsschmerzen – und kniff die Augen gegen den Rauch zusammen. »Wenn Sie nicht mehr bei der Polizei sind, welchem Umstand verdanke ich dann Ihren Besuch, Mr. Bottom?«
Nick erklärte, dass ihn der Vater des Opfers engagiert hatte. Noch während er sprach, fiel ihm der verschwommene Blick des Dichters auf, der irgendwo über Nicks rechter Schulter in der Ferne hing. Allein mit dem Joint und der Tatsache, dass Oz vielleicht wegen seines Besuchers aufgeweckt worden war, war das nicht zu erklären. Nick kannte dieses Tausend-Meter-Starren von seinen gelegentlichen morgendlichen Rasierversuchen. Anscheinend nahm Danny Oz viel mehr Flashback als noch zur Zeit von Keigo Nakamuras Tod.
»Exerzieren wir hier die gleichen Fragen durch wie vor sechs Jahren, oder beschäftigen wir uns mit neuen?«
»Ist Ihnen noch was eingefallen, das hilfreich sein könnte, Mr. Oz?«
»Danny. Nein, eigentlich nicht. Sie und die anderen Ermittler gehen wohl immer noch davon aus, dass irgendwas, das bei den Filminterviews angesprochen wurde, der Grund für Keigo Nakamuras Ermordung war. «
»Es gibt keine anderen Ermittler mehr.« Nick rang sich ein Lächeln ab. »Und leider kann ich nicht mit einer eleganten Theorie dienen. Nur eine Überprüfung alter Fakten, leider.«
»Auf jeden Fall freut es mich, mit einer Figur aus dem Sommernachtstraum
zu reden«, erklärte Oz. »Und ich musste oft daran denken, was Sie mir erzählt haben.«
»Was war das?«
»Dass Sie erst von Ihrer Frau erfahren haben, dass Sie eine Figur aus einem Shakespearestück sind.«
Nick grinste. »Sie haben ein verdammt gutes Gedächtnis, Mr. … Danny.« Außer er hat auch auf unsere letzte Begegnung geflasht. Aber warum sollte er die Droge für so was verschwenden? Um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln? »Aber Dara war noch nicht verheiratet, als sie mir das mit Zettel erröffnet hat, dem anderen Nick Bottom. Wir haben uns damals erst gelegentlich getroffen. Sie war Studentin, und ich war schon Polizist. Bin damals wegen meines Magisters noch mal an die Uni.«
»Und wie haben Sie die Nachricht aufgenommen? Von Ihren Ohren und der möglichen sexuellen Intimität mit der Königin der Elfen, meine ich?«
»Hab mich damit
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