Flashback
lebenslänglich ins Straflager – zu schicken, aber es lockte ihn bestimmt noch mehr, persönlich mitzumischen und dann ungeschoren davonzukommen. Coyne war nicht nur ein Soziopath, sondern auch ein Flashsüchtiger. Der Aussicht, auf Omuras Ermordung zu flashen – wahrscheinlich als Anreiz
für noch heftigere Eskapaden in den Gefilden von Mütterchen Russland –, konnte er garantiert nicht widerstehen.
Coyne wird also am Freitagabend auftauchen. Aber was mache ich?
Vom Wochenanfang bis zum Datum des unausweichlichen Massakers schlug er sich mit dieser Frage herum.
Im Grunde war das in etwas abgewandelter Form schon seit Monaten die entscheidende Frage für ihn. Val Bottom, der sich in seiner verwahrlosten, chaotischen Highschool lieber Val Fox nennen ließ, hatte aufgrund seiner Depressionen bereits daran gedacht, sich umzubringen.
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.
Bisher waren Vals Selbstmordabsichten eher vage geblieben, weil ihm alle verfügbaren Mittel dafür – der Sprung von einem hohen Ort, Erhängen, das Zusammensammeln von Schlaftabletten, der Diebstahl eines Autos oder Motorrads, um mit hundertfünfzig Stundenkilometern gegen einen Pfeiler zu brettern – so abstoßend erschienen, dass er vor jeder derartigen Lösung zurückschreckte.
Doch jetzt hatte er die Beretta.
Coyne hatte ihm die Pistole am Montag gegeben, nachdem er sich auf dem Mitternachtsmarkt einen Flechettewerfer von OAO Izhmash gekauft hatte. Die grinsenden Hadschis nannten diese moderne automatische Waffe einen »Synagogenfeger«, und Coyne war hellauf begeistert, obwohl er mit mindestens acht Jahren Dodger Stadium rechnen musste, wenn er damit gefasst wurde.
Noch am Abend hatte Val eine Pflegeanleitung für die Beretta heruntergeladen und ausgedruckt, kaufte das richtige Öl, suchte passende Lappen und Putzstöcke und verwendete jede freie Minute darauf, die Halbautomatik zu reinigen und sich mit ihr vertraut zu machen. Er entfernte das Magazin, vergewisserte sich, dass keine Patrone in der Kammer war und setzte sich die Mündung an die Stirn.
Aus einem anderen Onlineartikel (den er allerdings nicht herunterlud)
mit dem Titel »Das unveräußerliche Recht auf Selbstmord: Gebrauchsanleitung« erfuhr Val, dass selbst eine großkalibrige Neun-Millimeter-Patrone keine Gewähr dafür bot, dass der Schuss den starken Schädelknochen durchschlug. Schon die leichteste Ablenkung reichte, dass man hilflos sabbernd im Rollstuhl endete.
Gewissheit hatte man nur, so der Onlinerat, wenn man die Mündung an den weichen Gaumen hielt. Dann landete die Kugel garantiert im Gehirn und setzte allen Schmerzen und Zweifeln ein Ende.
Val probierte es aus, doch der scharfe Geschmack des Waffenöls und der klobige Pistolenlauf brachten ihn zum Würgen, und er musste sich prompt übergeben. Außerdem kam er sich dabei ziemlich schwul vor.
Was für Möglichkeiten bestanden noch?
Selbstmord durch Cop natürlich. Er musste sich am Freitagabend nur vor die Horde durchgeknallter Gangmitglieder schmeißen und sich ein paar Kugeln verpassen lassen.
Bloß garantierte das einen schnellen, wenn auch relativ qualvollen Tod? Wahrscheinlich schon, aber Gewissheit gab es nicht.
Mit acht oder neun Jahren hatte sich Val zusammen mit seinem Alten, der solche alten Cowboyschinken liebte, einen Film aus dem letzten Jahrhundert mit dem Titel Der große Minnesota-Überfall angeschaut. Darin überfielen der ziemlich schleimige Jesse James und sein Bruder Frank zusammen mit anderen Gesetzlosen wie Cole Younger und dessen Bruder eine »leichte Bank« in Northfield, Minnesota. Doch anscheinend mochten es die Einwohner von Northfield nicht, dass ihre Bank ausgeraubt wurde, denn jeder Mann, Junge und Köter in dem kleinen Kaff schnappte sich – zumindest in dem Film – eine Schrotflinte oder ein Gewehr und schoss die Gesetzlosen zu Klump.
Cole Younger, der bereits in Northfield fünfmal getroffen worden war, bekam bei dem anschließenden Feuergefecht in einem
Sumpf noch weitere Schüsse ab, unter anderem in die Hand, die Brust und den Kopf. Doch er überlebte und wurde gefasst. Nach seinem Prozess wurde er in das Staatsgefängnis von Minnesota überstellt. Insgesamt hatte er elf ernste Schusswunden davongetragen, ohne zu sterben.
Val wusste noch, dass die Bande in der Bank in Northfield insgesamt sechsundzwanzig Dollar und siebzig Cent erbeutet hatte.
Natürlich waren das alte Dollar, die sicher einiges wert waren, aber trotzdem …
Er versuchte sich
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