Flashback
vorzustellen, wie ihn die Sicherheitskräfte von Berater Omura mit zehn, elf Kugeln durchsiebten, ohne dass er starb. Solche Verletzungen taten bestimmt höllisch weh. Cole Younger zum Beispiel war zusammen mit seinen anderen verwundeten Kumpanen auf einen Planwagen geworfen worden, doch obwohl er stark blutete, scherzte er mit seinen Bewachern, und als sie in den Ort Madelia gelangten, stand er sogar auf und nahm den schlamm- und blutverschmierten Hut ab, um sich vor einigen vorüberkommenden Damen zu verneigen.
Solche arschcoolen Sachen über die Welt und die Geschichte zu erfahren war der Grund für Vals anhaltendes Leseinteresse.
Aber konnte er so scheißcool tapfer sein wie Cole Younger mit elf Kugeln im Leib? Val bezweifelte es. Wenn ihn Leonard zu dem Schwarzmarktzahnarzt in der Kellerwohnung am Echo Park schleifte, hätte er am liebsten jedes Mal geflennt wie ein Mädchen. Wie würde er klarkommen, wenn ein Stück Blei mit mehr als Schallgeschwindigkeit in seinen Körper krachte und ihm innere Organe und Arterien zerfetzte?
Welche anderen Möglichkeiten blieben ihm?
Er konnte das Feuer auf Coyne und die anderen eröffnen, bevor sie Omura ermordeten. Würde ihn das zum Helden der Stadt machen? Würden ihm der Berater und der Bürgermeister verzeihen? Würde man eine Ehrenparade für ihn veranstalten?
Aber dass es ihm gelingen sollte, alle sieben Gangmitglieder umzulegen, ohne selbst verletzt zu werden, kam ihm ziemlich unwahrscheinlich vor. Falls er sich überhaupt dazu überwinden konnte, würde er natürlich zuerst auf Coyne losgehen, aber diese pickeligen Schwachköpfe waren ja jetzt alle bewaffnet. Val malte sich aus, wie ihn aus Billys OAO Izhmash eine Wolke von Pfeilen traf. Diese Dinger waren sieben Zentimeter lang und hatten Widerhaken. Verdammt. Am liebsten hätte er sich gleich wieder übergeben.
Außerdem wollte Val nicht zum offiziellen Helden werden. Im Mittelpunkt einer Parade zu stehen kam für ihn nicht infrage. Da konnte er sich gleich eine Kugel durch den Gaumen jagen.
Aber was wollte er dann?
Lieber sterben, als weiter in dieser abgefuckten Stadt und Welt leben zu müssen … vielleicht. Wahrscheinlich.
Das Einzige, was Val im Augenblick mehr anmachte als sein Tod, war die Möglichkeit, irgendwie nach Denver zu kommen und seinen Alten umzunieten. Dieser Scheißkerl hatte ihn nach dem Tod seiner Mutter im Stich gelassen und einfach vergessen, das wusste Val ganz genau. Und fast nichts war so befriedigend wie die Vorstellung von Nick Bottoms Gesicht in den wenigen Sekunden, bevor Val auf den Abzug der Beretta drückte.
Dann am Donnerstag – als Val sich schon damit abgefunden hatte, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich in der kommenden Nacht eine Kugel in den Kopf zu jagen in der Hoffnung, dass sein Dickschädel das Geschoss nicht ablenken würde – kam der gute alte Leonard an und erzählte ihm von der Lasterfahrt nach Denver, die der reiche Latinofreund seines Großvaters für sie arrangiert hatte.
Damit änderte sich alles. Fast wäre er heulend zusammengebrochen, aber zum Glück konnte er sich gerade noch am Riemen reißen. Den Grund für diese Tränen der Dankbarkeit hätte er Leonard unmöglich erklären können: Er musste sich nicht umbringen, und
er hatte bald Gelegenheit, seinen Vater zur Rechenschaft zu ziehen.
Coyne konnte sich nach Omuras Ermordung mit seiner Mutter nach Russland absetzen. Aber Val Fox Bottom hatte jetzt etwas noch Rotzcooleres: eine Mitternachtsflucht mit einem illegalen Lastwagenkonvoi.
Doch was war mit dem Attentatsplan? Val konnte das Ganze jetzt einfach canceln. Wenn er zu dem vereinbarten Treffen am Freitagabend nicht auftauchte, musste Coyne eben ohne ihn klarkommen.
Oder er konnte sich alles anschauen – idealer Stoff zum Flashen, egal wie es ausging –, ohne selbst einen einzigen Schuss abzugeben. Oder einen abzubekommen.
An diesem Donnerstagabend legte sich Val lächelnd schlafen, doch davor verbrauchte er noch eine seiner letzten Zwanzig-Minuten-Ampullen Flashback.
Er ist vier Jahre alt. Heute ist Vals Geburtstag, und jetzt ist er vier Jahre alt. Er kann sich die vier Kerzen auf dem glasierten Biskuitkuchen genau vorstellen, weil er schon bis vier zählen kann. Er ist vier Jahre alt, und seine Mommy lebt noch. Er und sein Daddy hassen sich noch nicht, und er hat Geburtstag.
Mommy und sein bester Freund Samuel und Samuels Großmutter – sein ebenfalls vierjähriger Spielkamerad wohnt zwei Häuser weiter, aber aus
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