Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flatline

Flatline

Titel: Flatline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
Vom Netzwerk:
ihr Zimmer. Joshua sah auf die rote Leuchtanzeige seines Weckers. 5:05 Uhr. Er gab seiner Frau einen zärtlichen Kuss und stand auf. Ohne ins Bad zu gehen, streifte er sich den Jogginganzug über.
    Jagger blinzelte ihn müde aus seinem Korb an. Die Falten in seinem Gesicht hingen schlaff herab, es schien so, als seien über Nacht einige hinzugekommen. Als Joshua die Laufschuhe anzog, schoss Jagger hellwach auf ihn zu.
     
    Monoton klatschten die Schuhe auf den nassen Asphalt des Radweges. Drei Schritte lang atmete er ein, drei Schritte aus. Sein Lauf glich der Gleichmäßigkeit eines Uhrwerks. Die Gedanken schossen unkontrollierbar wie Blitze eines nächtlichen Gewitters durch seinen Kopf. Wie an einer Schnur gezogen, bog Joshua in einen Feldweg ein und lief entlang einer Allee aus Pappeln. Den vorauseilenden Jagger hatte die Dunkelheit verschluckt. Mit einem mächtigen Satz übersprang er den kleinen Bachlauf, dessen Oberfläche das Mondlicht reflektierte. Feuchte, kalte Luft durchströmte seinen Körper. Winzige Bruchstücke formierten sich zu Gedanken, die wehtaten. Die Ermittlungen werden ab heute an Intensität zunehmen, für Jack wird keine Zeit bleiben. Ausgerechnet jetzt!
    Jagger rannte bellend hinter dem Fahrrad des Zeitungsboten her. Der Rentner schaltete einen Gang hoch und fuhr unverrichteter Dinge an einer Reihe von Häusern vorbei, bis Jagger sich lustlos abwandte. Der ältere Herr rief Joshua ein paar Flüche hinterher.
     
    Die Espressomaschine spie gurgelnd die letzten Tropfen in die Tasse. Frisch geduscht und rasiert bereitete Joshua ein Frühstück aus Müsli und Früchten zu. Zufrieden überflog er die Tageszeitung. Ein Fußballskandal hatte die Bankraubserie in den Innenteil verdrängt. Auf Seite drei wurde in einem Einspalter von einem Selbstmord auf Bahngleisen berichtet. Er wollte aufstehen, um sein Geschirr abzuräumen, als Janine neben ihm stand. Das Unterhemd von ihm war ihr viel zu groß. Sie sah verführerisch aus. Joshua legte seinen rechten Arm um ihre Hüften und küsste ihre Brust durch das Hemd.
    »Nicht«, flüsterte sie, »die Kinder sind schon wach.«
     
    In der Virologie der Universitätsklinik meldete sich der Anrufbeantworter. Eine Frauenstimme verkündete die Bürozeiten. Der Samstagvormittag befand sich erwartungsgemäß nicht darunter. Joshua fuhr direkt zum Institut für Rechtsmedizin. Tief hängende Wolkenberge verkündeten drohend ein verregnetes Wochenende.
    Strietzel empfing ihn in Jeans und dunkelblauem Pullover. Während Joshua im kühl wirkenden Büro Platz nahm, zog der Arzt sich einen Kittel über. Mit einem Fingerzeig bat er Joshua, ihm ins Labor zu folgen. Unterwegs durch einen der Flure gab Strietzel erste Ergebnisse preis.
    »An den Fußgelenken und dem Knöchel der rechten Hand haben wir Druckstellen und Wundmale entdeckt. Nach der Größe zu urteilen könnte es sich um Lederbänder gehandelt haben, wie sie beispielsweise in der Psychiat-
    rie verwendet werden.«
    »Komisch.«
    »Was meinst du?«
    »Wenn ich jemanden fessele, lasse ich doch nicht eine Hand frei.«
    »Der linke Unterarm ist bei dem Aufprall auf die Schiene geschleudert worden und unter die Räder gekommen. Da lässt sich nichts mehr feststellen. «
    Neonlampen flackerten überall an der Decke auf. Das Licht spiegelte sich auf den Edelstahltischen in der Mitte des Raumes. Auf einem der Tische lag eine nackte Frauenleiche. Ihr Körper war mit dunklen Flecken überzogen. Joshua hatte nie verstehen können, aus welchem Grund ein Mensch den Beruf eines Pathologen ergreifen wollte. Er ging um den Tisch mit der Leiche herum. Es machte ihm nicht viel aus. Es war eine »saubere« Leiche. Der erste Mordfall, damals in Krefeld, fiel ihm ein. Die Leiche hatte mehrere Wochen in einem See gelegen. Der aufgequollene Körper war wochenlang die Hauptfigur seiner Albträume gewesen.
    »Überzeuge dich selbst«, Strietzel deutete auf ein Mikroskop zwischen zwei Kühlboxen.
    Joshua kam es vor, als blicke er in eine andere Welt. Hunderte kleiner Objekte in unterschiedlichsten Formen und Farben präsentiertem sich seinem Auge. Einige von ihnen bewegten sich zu seiner Überraschung ruckartig vorwärts, andere verharrten leblos an ihrem Platz. Ratlos wandte er sich von dem Gerät ab und sah den Mediziner fragend an.
    »Was ist das?«
    »Eine Blutprobe eures Selbstmörders«, Strietzel antwortete betont sachlich und emotionslos.
    »Das habe ich mir gedacht. Ich meinte auch diese …

Weitere Kostenlose Bücher