Flatline
Spurenträger. Es machte ihm nichts aus, mit seiner Kollegin neben aufgeschnittenen Körpern und abgetrennten Schädeldecken Kochrezepte auszutauschen. Die Unruhe Strietzels übertrug sich auf Joshua, seine Anspannung nahm spürbar zu.
»Ich kann dir das jetzt nicht alles am Telefon erklären. Am besten kommst du morgen früh gleich zu mir oder fährst direkt zu den Virologen. Ich denke, die fangen sofort mit den Untersuchungen an.«
»NEIN! Ich komme sofort.«
»Das geht leider nicht. Meine Frau und ich haben heute unseren Hochzeitstag. Ich habe ihr hoch und heilig versprechen müssen, spätestens um vier zu Hause zu sein. Also, bis morgen.«
Ein leises Knacken, gefolgt von beunruhigender Stille drang an sein Ohr. Sprachlos sah er auf das Mobiltelefon. Die Ziffern 18:34 waren in der aufkommenden Dunkelheit kaum noch zu erkennen.
»Das gibt es doch nicht«, murmelte Joshua undeutlich. Immer noch perplex berichtete er Serena von dem Gespräch.
Die Scheinwerfer am Rand der Bahntrasse waren inzwischen abgebaut und befanden sich nun auf der Fahrbahn unweit des Bahnüberganges. Joshua versuchte, die nebulösen Andeutungen Strietzels zu deuten. Die Untersuchungsergebnisse der ersten beiden Opfer hatte der Mediziner vergleichsweise nüchtern kommentiert. In Gedanken verabschiedete Joshua sich von seinem freien Wochenende. Er war beinahe froh darüber.
»Konntest du Bornmeier noch erreichen?«
»Nein. Ich werde es gleich morgen früh noch einmal versuchen.«
Für Karin war jetzt klar, dass sie mitten in einer Mord-ermittlung steckten. Joshua hatte nicht damit gerechnet, seine Kollegin noch in der Dienststelle anzutreffen. Daniel war bereits gegangen. Er hatte am nächsten Tag Geburtstag und wollte noch einiges vorbereiten. Obwohl er niemanden eingeladen hatte, ging er anscheinend vom Besuch der Kollegen aus. Zumindest hatte er seinen nahenden Geburtstag in dieser Woche rund ein Dutzend Mal unauffällig erwähnt. Kalle hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen und sich dafür von der Freundin des Kollegen den Zweitschlüssel von Daniels Wohnung ausgeliehen. Das Problem bestand bisher darin, Daniel an diesem Tag von seiner Wohnung fernzuhalten. Das dürfte sich nun erledigt haben.
»Wie weit seid ihr in eurem Fall?«
Joshua hatte sich unterwegs an einer Tankstelle belegte Brötchen besorgt, die beinahe so alt waren wie dieser Tag. Als er vor der Kasse anstehen musste, waren ihm die dicken Schlagzeilen der Boulevardpresse aufgefallen. Im Radio bekam er noch das Ende eines provokanten Berichtes dazu mit. Karin grinste ihn breit an.
»Die Paparazzi waren ausnahmsweise von Vorteil. Schorndorf konnte es sich nicht mehr leisten, auf eine Handvoll Polizisten zu setzen. Ab morgen werden zwanzig Geldautomaten rund um die Uhr bewacht.«
Der Behördenleiter war der Ansicht, das Interesse aus der Bevölkerung sowie der übergeordneten Dienststellen würde beständig auf ihn fokussiert. Jeden noch so harmlosen Zeitungsartikel nahm er als Kritik an seinen Führungsfähigkeiten wahr. Joshua gefiel dieser plötzliche Aktionismus überhaupt nicht.
»Wir werden ab morgen jede verfügbare Kraft benötigen. Die Automatenknacker müssen warten.«
»Bin gespannt, wie du das Schorndorf beibringen willst. So, wie der sich heute aufgespielt hat, wird das wohl nichts.«
23
Es regnete unablässig wie aus Eimern, besser hätte sich das Wetter der allgemeinen Stimmungslage nicht anpassen können. Während die engsten Angehörigen vor dem Grab angekommen waren, reichte das Ende des Trauerzuges noch bis auf den Bürgersteig vor dem Haupttor des Düsseldorfer Südfriedhofes. Corinna musste von beiden Seiten gehalten werden, ihr Gesicht war aufgeweicht von Tränen. Ein Blitzlichtgewitter leuchtete den geschmückten Eichensarg aus, als Schorndorf eine peinlich pathetische Rede hielt. In dem Augenblick, da der Sarg in die Tiefe glitt, konnte Joshua seinen Schmerz nicht mehr länger in seinem Innern gefangen halten. NEIN, schrie er aus voller Kehle und immer wieder. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, die ihn schüttelte.
»Joshua! Joshua!«
Als er die Augen aufschlug, nahm er Janines Finger wahr, die ihn sanft streichelten. Das T-Shirt klebte an seinem Oberkörper. Tief und gleichmäßig atmete er durch. Die Schlafzimmertür öffnete sich leise. Britt kam herein und rieb sich die verschlafenen Augen.
»Schon gut, mein Kleines. Papa hat nur schlecht geträumt.«
Wortlos drehte sie sich um und ging zurück in
Weitere Kostenlose Bücher