Flatline
sich zu Fäusten. Eine Chance, noch eine letzte Chance, bitte. Er startete den Motor, fuhr mit Vollgas vom Parkplatz.
50
Joshua schlug wütend die Faust aufs Lenkrad. Schon weit vor der Sackgasse waren die Einsatzfahrzeuge erkennbar. Sollte der Mann, mit dem Sänger sich treffen wollte, nicht schon vorher angekommen sein, so hätten sie vermutlich ihren letzten Trumpf verspielt. Mit quietschenden Reifen schoss er in einen freien Parkplatz. Kalle hatte ihn erkannt und rannte auf ihn zu.
»Seid ihr völlig übergeschnappt?«, fuhr er seinen Kollegen schon von Weitem an. »Jack liegt im Sterben und ihr fahrt hier das volle Programm auf. Könnt ihr dem Täter ja gleich sagen, er soll verschwinden.«
Joshua war jetzt völlig außer Kontrolle. Sein Gesicht lief dunkelrot an. »Was ist, wenn Sänger alleine da drin ist?«
Joshua deutete mit dem ausgestreckten Arm auf die mit Wellblechteilen verkleidete Halle.
»Da brauchst du mich nicht für anzumachen«, schrie Kalle zurück, »Pille hat unsere Meldung brühwarm an die Einsatzleitung weitergegeben, wegen des Haftbefehls gegen Sänger. Komm mal wieder runter. Wir machen hier auch nur unseren Job.«
Joshua atmete tief durch, senkte den Blick. Mit dem Arm auf dessen Schulter zog er Kalle mit zu den Kollegen.
»Tut mir leid. Ich bin ein wenig daneben.«
»Schon gut. Die Jungs vom SEK sind bereits in Stellung. Wir können jederzeit stürmen. Da drüben stehen zwei Fremdfahrzeuge. Sind allerdings nicht vom Täter. Ansonsten negativ. Ein Taxi ist heute noch gar nicht hier gewesen. Cedric und Reiner hören sich gerade in der Nachbarschaft um.«
Kalle hob entschuldigend die Arme. Joshua wähnte sich in einem Albtraum. Sänger wartete dort drüben alleine. Der Täter würde mit Sicherheit nicht mehr kommen.
Ich sollte bei Jack sein, der Gedanke stieß ihm bitter auf. Alles schien mit einem Mal völlig sinnlos. Sie hatten verloren – er hatte verloren.
Joshua dachte an das letzte Jahr zurück. Den letzten Fall als Leiter der Mordkommission in Krefeld. Sie waren ganz dicht dran gewesen, als Elsing, ihr Dienststellenleiter, ihn wegen einer Verfehlung vom Dienst suspendiert hatte. Jack gelang es damals, ihn zum LKA zu holen. Damit hatte er nicht nur Joshuas Job, sondern auch dessen Ehe gerettet.
»Seid ihr bereit?«
Karins Stimme holte ihn in die Realität zurück. Sie war vor wenigen Augenblicken mit Daniel angekommen.
Freddie Biermann, der Einsatzleiter des SEK, stand neben ihnen. Sein Blick war finster. Joshua konnte den Grund erahnen. Die Sicherheit seiner Männer war Freddies oberste Prämisse.
»Die Sache gefällt mir nicht«, Biermann kratzte sich besorgt am Kinn, »ich habe eben noch einmal mit Kracht vom Bauamt telefoniert. Es handelt sich um eine Leichtbauhalle. Besteht praktisch nur aus verkleideten Stahlträgern. Innen existieren lediglich zwei gemauerte Wände. Selbst die sind voriges Jahr versetzt worden, auf den Nachtrag wartet Kracht immer noch.«
Freddie schob sich ein Kaugummi in den Mund. Vor einem halben Jahr hatte er sich das Rauchen abgewöhnt, verzehrte seitdem Unmengen davon.
»Alle anderen Räume«, fuhr er fort, »bestehen aus Leichtbauwänden, die quasi jeder Mieter nach seinen Anforderungen versetzt. Die Firma Beier hat mir drei unterschiedliche Pläne gefaxt. Die Fotos der Durchsuchung sind wenig aussagekräftig. Mit anderen Worten: Keine Sau weiß, wie es da drin aussieht, das stinkt mir gewaltig.«
Joshua konnte ihn gut verstehen. An der Durchsuchung des Labors waren zwanzig Kollegen beteiligt gewesen. Niemand hatte sich darum gekümmert, eine Lageskizze anzufertigen. Wer konnte damit rechnen, dass dieses Gebäude noch einmal in den Mittelpunkt der Ermittlungen rücken würde.
»Sänger kann uns nicht abhauen. Für unseren Mann gilt das Gleiche, falls er da drin ist«, versuchte er Freddie zu beruhigen.
»Sänger ist bewaffnet, sein Partner vermutlich auch.« Karin sah ihn fast ein wenig empört an.
Daran hatte Joshua nicht mehr gedacht. Sie mussten also agieren, um eine Eskalation zu vermeiden. Für ihn stand ohnehin fest, dass der Täter hier nicht mehr auftauchen würde. Joshua ergab sich den Zwängen, kapitulierte innerlich. Er wollte nur noch möglichst schnell in die Uniklinik. Seine Augen wurden feucht. Verstohlen drehte er sich um, zog ein Taschentuch aus der Hose. Joshua wollte sich seiner Kollegin zuwenden, stoppte mitten in der Bewegung. Für den Bruchteil einer Sekunde bemerkte er den Aufkleber auf der
Weitere Kostenlose Bücher