Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
mich?
Ganz zu schweigen von Vater! Was er wohl sagen würde, wenn er erfuhr, dass seine jüngste Tochter die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen und stattdessen durch das Blut einer alten Wahrsagerin gewatet war, die er seinerzeit von seinem Land gejagt hatte?
Dogger merkte mir meine Verunsicherung anscheinend an.
»Ich glaube, der Inspektor will sich nur nach deinem Befinden
erkundigen. Ich sag Bescheid, dass du gleich runterkommst. «
Frisch gebadet und im Schleifchenkleid schritt ich die Treppe hinab. Feely wandte sich von einem Spiegel in der Eingangshalle ab, in dem sie ihr Gesicht studiert hatte.
»Jetzt geht’s dir an den Kragen«, sagte sie.
»Zisch ab«, erwiderte ich freundlich.
»Die halbe Polizei von Hinley ist dir auf den Fersen, und du hast noch die Nerven, pampig zu deiner Schwester zu sein? Na, hoffentlich erwartest du nicht, dass ich dich im Kittchen besuche.«
Ich rauschte mit aller mir zur Verfügung stehenden Würde an ihr vorbei und gab mir Mühe, auf dem Weg durch die Halle meinen Verstand zusammenzunehmen. Vor der Tür zum Salon blieb ich kurz stehen und sandte ein Stoßgebet gen Himmel: Der Herr segne und behüte mich, er lasse sein Angesicht über mir leuchten und schenke mir Charme und Schlagfertigkeit.
Ich öffnete die Tür.
Inspektor Hewitt erhob sich. Er hatte in dem dick gepolsterten Sessel gesessen, in dem sich sonst Daffy mit einem Buch fläzte. Vater stand am Kamin. Der Spiegel zeigte sein abgewandtes Profil.
»Da bist du ja, Flavia«, sagte er. »Der Herr Inspektor hat mir soeben mitgeteilt, dass deine Geistesgegenwart einer Frau das Leben gerettet hat. Gut gemacht.«
Gut gemacht? … Gut gemacht?
War das mein Vater, der da sprach? Oder benutzte ihn eine antike Gottheit als Bauchrednerpuppe, um mir ein persönliches Lob vom Olymp zukommen zu lassen?
Nein, Vater war ein höchst unwahrscheinliches Medium für derlei Botschaften. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass er mich auch nur ein Mal in meinen elf Lebensjahren gelobt hatte – darum hatte ich jetzt keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte.
Der Inspektor erlöste mich.
»Ja, das hast du wirklich gut gemacht. Ich habe mir sagen lassen, dass die Frau trotz des brutalen Überfalls mit einem Schädelbruch davongekommen ist. Was angesichts ihres Alters natürlich …«
Vater unterbrach ihn. »Dr. Darby hat auch angerufen und dich gelobt, Flavia, aber Dogger hat ihm gesagt, dass du noch schläfst. Ich habe das Lob für dich entgegengenommen.«
Vater hatte telefoniert? Unglaublich! Vater hatte seine Einwilligung, ein solches Gerät im Haus zu dulden, nur unter der Bedingung gegeben, dass es ausschließlich im äußersten Notfall benutzt wurde, beim Weltuntergang zum Beispiel.
Aber Dr. Darby war ein Freund von Vater. Er würde dem guten Doktor noch eine Predigt bezüglich seines Verstoßes gegen unsere häuslichen Gepflogenheiten halten, aber der Doktor würde darüber hinwegkommen. »Trotzdem …«,Vaters Miene verfinsterte sich, »trotzdem musst du uns erklären, weshalb du dich mitten in der Nacht im Gehölz herumtreibst.«
»Die arme Wahrsagerin!«, wechselte ich geschickt das Thema. »Ihr Zelt ist abgebrannt. Sie wusste nicht, wohin.«
Ich plapperte weiter und suchte in Vaters Gesicht nach einem Hinweis darauf, dass er hellhörig wurde, denn schließlich war er es gewesen, der Johnny Faa und seine Frau damals von Buckshaw vertrieben hatte. Hatte er den Vorfall schon vergessen? Jedenfalls war er sich anscheinend nicht bewusst, dass sein Eingreifen dazu geführt hatte, dass der Mann der Zigeunerin tot zusammengebrochen war – und ich hatte nicht vor, es ihm zu erzählen.
»Ich habe an die Predigt des Vikars gedacht, von wegen christliche Nächstenliebe …«
»Schön, schön, Flavia«, sagte Vater. »Sehr löblich.«
»Ich hab der alten Frau erlaubt, dass sie im Gehölz kampieren darf, aber nur eine Nacht. Ich wusste ja, dass du …«
»Danke Flavia, ich glaube, das reicht.«
»… es nicht gern siehst.«
Armer Vater: überrumpelt, unterlegen und überlistet. Fast tat er mir leid.
Er fuhr sich mit dem Zeigefingerknöchel erst über die rechte und dann die linke Hälfte seines Schnurrbarts – eine zwanghafte, nervöse Putzgeste, wie sie seit Menschengedenken für Offiziere typisch ist. Wetten, dass auch Julius Cäsar, hätte er einen Schnurrbart gehabt, auf diese Art daran herumgespielt hätte?
»Inspektor Hewitt würde sich gern noch kurz mit dir unterhalten. Da es vertrauliche Informationen
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