Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
ausdruckslos, dann sagte er: »Na, hoffentlich bekommst du sie in einwandfreiem Zustand zurück.«
Ich stutzte. Sollte das ein Witz sein?
Dogger hatte während des Kriegs im Fernen Osten Schlimmes erlebt. Seitdem schien sein Verstand manchmal nur noch aus einem wirren Knäuel halb zerrissener Hängebrücken zu bestehen, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verbanden. Ich hatte noch nie erlebt, dass er einen Witz machte. Deshalb war das ein bedeutsamer Augenblick.
»Ach so! Hahaha«, lachte ich übertrieben. »Klasse, Dogger. In einwandfreiem Zustand zurück … Das muss ich unbedingt Mrs Mullet erzählen.«
Nicht, dass ich die Absicht hatte, dieses einmalige Erlebnis mit unserer Köchin zu teilen, aber manchmal muss man etwas dicker auftragen.
Dogger lächelte flüchtig, als er eine Fischgabel in die Besteckschublade zurücklegte und eine noch ungeputzte herausholte. Das Tafelsilber der de Luces wurde in einem aufklappbaren Kasten mit gestaffelten Laden aufbewahrt, der in geöffnetem Zustand eine bemerkenswerte Vielfalt von Fischgabeln, Punschkellen, Teesieblöffeln, Hummergabeln, Zuckerzangen, Marklöffeln, Traubenscheren und Tortenhebern präsentierte, das Ganze stufenförmig angeordnet wie silbrige Lachse, die
das steile Bachbett eines whiskyfarbenen schottischen Flüsschens hinaufschnellen.
Dogger hatte den schweren Kasten zum rituellen Besteckputzen auf den Küchentisch gewuchtet und widmete sich der scheinbar uferlosen Aufgabe, die einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch nahm und bei der ich immer wieder gern zusah.
Mrs Mullet erzählte des Öfteren, wie stolz ich als Kind auf meine selbst gebastelten Puppen gewesen sei: Ich hatte eine Familie aus Silbergabeln in Stoffservietten gekleidet. Man hatte viel Fantasie gebraucht, um die Gesichtszüge zu erkennen, denn sie hatten aus dem eingravierten Monogramm DL bestanden und waren alle gleich gewesen.
»Die Mumpeters« hatte ich sie genannt: Mutter Mumpeter, Vater Mumpeter und die drei kleinen Mumpeter-Töchter, die ich singend auf ihren drei beziehungsweise vier Beinen über den Tisch spazieren und tanzen ließ.
Ich konnte mich noch an »Lauser« erinnern, das dreibeinige Straßenkind, das aus einer Gewürzgurkengabel (von Vater »Dreizack« genannt) bestand und das die erstaunlichsten akrobatischen Kunststücke vollführte, bis irgendwann ein Beinchen in einer Ritze steckenblieb und abbrach.
»Ach ja, das war besser als im Zirkus!«, versicherte Mrs M und wischte sich die Lachtränen ab. »Armer kleiner Racker.«
Ich weiß bis heute nicht, ob sie Lauser oder mich meinte.
Ob Dogger die Geschichte von den Mumpeters kannte? Vermutlich schon, denn wenn es um Klatsch und Tratsch ging, konnte es höchstens die News of the World mit Mrs Mullet aufnehmen.
Es war eine ideale Gelegenheit, Dogger auszuhorchen. Mrs M war ausnahmsweise nicht in der Küche, und Dogger wirkte heute ausgesprochen zugänglich. Ich holte tief Luft und stürzte mich kopfüber hinein: »Gestern Nacht hab ich Brookie Harewood im Salon angetroffen«, sagte ich. »Kurz nach zwei Uhr früh.«
Dogger polierte das Grapefruit-Messer zu Ende und richtete es auf einem grünen Filztuch parallel zu seinen Kameraden aus.
»Was wollte Brookie dort?«, fragte er dann.
»Nichts. Er stand am Kamin. Nein – er hockte davor und hat sich auf einen Kaminbock gestützt oder ihn befühlt.«
Die Kaminböcke hatten Harriet gehört. Es waren zwei Füchse, die in den Gutenachtgeschichten, die sich Harriet für Daffy und Feely ausgedacht hatte, die Hauptrollen spielten – was mir meine lieben Schwestern übrigens heute noch unter die Nase rieben.
Wenn ich ehrlich sein soll, kränkte es mich tatsächlich, dass meine Mutter so viele Geschichten für meine Schwestern ersonnen hatte und keine für mich. Als ich dafür alt genug war, war sie schon tot gewesen.
»Welchen Fuchs hat er denn befühlt?«, wollte Dogger wissen und stand auf.
»Sally Fuchs. Den rechten.«
Die beiden Füchse hatten nämlich verschiedene Gesichter. Harriet hatte sie Sally Fuchs und Shoppo getauft, und sie hatten in Harriets Fantasiewelt – einer Welt, die mit ihrem Tod untergegangen war – unzählige Abenteuer erlebt. Früher hatten sich Feely und Daffy oft selbst Geschichten über die beiden Schlauberger ausgedacht, um die Wärme und Geborgenheit der vergangenen Tage heraufzubeschwören; in den letzten paar Jahren jedoch hatten sie das aus irgendeinem Grund aufgegeben. Vielleicht waren sie inzwischen zu alt für
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