Flavia de Luce Halunken Tod und Teufel
aus wie eine Kröte!
Hinter dem Tor erstreckte sich der Garten von Glebe Cottage wie ein stahlblaues Meer: der hohe Rittersporn in seiner zweiten Blüte schien sich hinter dem Salbei auf die Zehenspitzen zu stellen, als wetteiferten die Pflanzen darum, welche als Erste bis in den Himmel wuchs.
Von Dogger wusste ich, dass man Rittersporn zwar ein zweites Mal zum Blühen bringen konnte, indem man ihn nach der ersten Blüte energisch herunterschnitt, dass aber kein vernünftiger Gärtner so etwas tat, weil man damit den ganzen Stock schwächte.
Eine vernünftige Gärtnerin war Vanetta Harewood schon mal nicht.
Ich betätigte die Porzellanklingel, trat einen Schritt zurück, blickte himmelwärts und schürzte die Lippen, als pfiffe ich vor mich hin. Womöglich stand hinter den Vorhängen jemand auf der Lauer, und ich wollte unbedingt völlig harmlos wirken.
Ich wartete. Schließlich klingelte ich noch einmal. Drinnen polterte es, als würde eine Möbelbarrikade beiseitegeräumt.
Als die Tür urplötzlich aufging, rang ich erschrocken nach Luft. Vor mir stand eine kräftige Frau in Reithosen und lavendelfarbener Bluse. Ihr kurzgeschnittenes graues Haar lag dicht am Kopf an wie ein Aluminiumhelm.
Sie klemmte ein Schildpattmonokel ins Auge und musterte mich streng.
»Ja bitte?«
»Mrs Harewood?«
»Nein«, sagte sie und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Also so was!
Vater war der Ansicht, Unhöflichkeit, die nicht auf Unwissenheit beruhte, sei eine typische Eigenschaft der Aristokratie. Ich klingelte zum dritten Mal. Ich wollte nach dem Weg fragen.
Diesmal blieb die Tür zu, und aus dem Haus kam kein Laut mehr.
Aber halt! Das Cottage hatte ja zwei Haustüren. Wahrscheinlich hatte ich einfach die falsche erwischt.
Ich verpasste mir selbst eine Kopfnuss, ging zur anderen Tür und betätigte den Türklopfer.
Die Tür flog auf, und Reithose stand wieder vor mir. Sie funkelte mich bitterböse an, wenn auch ohne Monokel.
»Könnte ich wohl Mrs Harewood sprechen?«, bat ich. »Es geht um …«
»Nein! Verschwinde!«
Doch ehe sie die Tür zuschlagen konnte, rief jemand drinnen im Haus: »Wer ist da, Ursula?«
»Eine Hausiererin«, rief Reithose über die Schulter. Mich schnauzte sie an: »Wir wollen keine Kekse!«
Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf.
»Guten Tag, Mrs Harewood!«, rief ich. »Es geht um Brookie! «
Es war, als hätte ich einen Zauberspruch aufgesagt, der die
Zeit anhielt. Die Frau an der Tür stand reglos da wie eine lebensgroße Ausschneidefigur aus einem Bilderbuch. Sie atmete nicht mal.
»Bitte, Mrs Harewood! Ich bin Flavia de Luce aus Bishop’s Lacey.«
»Lass sie rein, Ursula«, rief es.
Auch als ich mich an ihr vorbeidrängte, rührte sich Ursula nicht vor der Stelle.
»Ich bin hier«, hörte ich es sagen.
Wahrscheinlich hatte ich eine verschrumpelte Miss Havisham erwartet, die hinter zugezogenen Vorhängen umgeben von muffigen Schätzen ihr Dasein fristete. Aber ich irrte mich gewaltig.
Vanetta Harewood stand in einem Streifen aus Sonnenlicht am Erkerfenster, drehte sich um und streckte mir beide Hände entgegen.
»Vielen Dank, dass du gekommen bist.«
Sie sah höchstens aus wie fünfundvierzig, dabei musste sie viel älter sein. Wie in aller Welt konnte so ein entzückendes Geschöpf die Mutter von Brookie Harewood sein?
Sie trug ein elegantes dunkles Kostüm mit Seidenkragen. Brillanten funkelten an ihren Händen.
»Ich muss mich für Ursula entschuldigen«, sagte sie und nahm meine Hand, »aber sie will mich nur beschützen, und dabei übertreibt sie es manchmal ein bisschen.«
Ich nickte benommen.
»Mein Beruf verlangt äußerste Diskretion, verstehst du, und jetzt, da …«
»Ich verstehe schon. Das mit Brookie tut mir sehr leid.«
Sie nahm eine Zigarette aus einem Silberetui, zündete sie mit einem Silberfeuerzeug an, das einem maßstabgetreuen Modell von Aladins Wunderlampe glich, und stieß eine lange Rauchfahne aus, die in der Sonne ebenfalls silbern aussah.
»Brookie war ein guter Junge«, sagte sie, »aber es ist kein
guter Mann aus ihm geworden. Er besaß die verhängnisvolle Gabe, die Leute dazu zu bringen, dass sie ihm glaubten.«
Ich wusste zwar nicht recht, was sie meinte, aber ich nickte.
»Er hatte kein leichtes Leben«, sagte sie gedankenverloren. »Jedenfalls hätte es leichter sein können.«
Und dann, ganz plötzlich: »Aber jetzt erzähl doch – was führt dich her?«
Die Frage überrumpelte mich. Ja, was führte mich eigentlich zu
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