Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
dass es eine rein rhetorische Frage war. Ich zog die Mundwinkel hoch und hoffte, so etwas wie ein Mona-Lisa-Lächeln
hinzubekommen, zumindest eines, das den Erfordernissen der Höflichkeit Genüge tat.
»Du bist also Schnäppis Tochter«, fuhr der Alte fort. »Dabei siehst du ihm kein bisschen ähnlich.«
»Angeblich komme ich mehr nach meiner Mutter Harriet.«
»Ach ja, die gute Harriet. Was für eine Tragödie. Wie furchtbar für euch alle.«
Er streckte die Hand aus und tippte auf eine Lupe, die bedenklich wacklig auf dem Zeitungseisberg balancierte. Außerdem öffnete er ein Etui mit Players, aus dem er sich eine neue Zigarette auswählte.
»Ich tue mein Bestes, um mit dem Weltgeschehen Schritt zu halten, jedenfalls mit dem Weltgeschehen, wie es sich in den Augen dieser Schreiberlinge darstellt. Meine eigenen Augen, das gebe ich zu, beobachten diese Parade nun seit fünfundneunzig Jahren und sind des Ganzen ein wenig müde geworden.
Trotzdem gelingt es mir, über die Geburten, Todesfälle, Hochzeiten und Verbrechen, die sich in unserer beschaulichen Grafschaft ereignen, einigermaßen auf dem Laufenden zu bleiben. Und ich habe natürlich weiterhin Punch und Lilliput abonniert.
Soviel ich weiß, hast du zwei Schwestern, Ophelia und Daphne.«
Ich nickte abermals.
»Ja, ja, unser Schnäppi hatte immer eine Vorliebe für alles Ausgefallene. Darum habe ich mich auch nicht gewundert, als ich gelesen habe, dass er seine ersten beiden Nachfahren nach einer Hysterikerin bei Shakespeare und einem griechischen Nadelkissen benannt hat.«
»Wie bitte?«
»Daphne wurde von Eros mit einem liebestötenden Pfeil durchbohrt, ehe sie von ihrem Vater in einen Baum verwandelt wurde.«
»Ich meinte die andere, die wahnsinnige Ophelia.«
»Die ist ja nun völlig übergeschnappt.« Er drückte den Stummel in dem überquellenden Aschenbecher aus und zündete sich die nächste Zigarette an. »Oder bist du anderer Meinung?«
Die Augen, die mich aus dem runzligen Greisengesicht ansahen, blickten so wach und aufmerksam wie die jeden Lehrers, der mit dem Zeigestock in der Hand vor einer Wandtafel steht, und ich spürte, dass meine Rechnung aufgehen würde. Ich war kein »kleines Mädchen« mehr. Im Gegensatz zu Daphne, die lediglich in einen Lorbeerbaum verwandelt worden war, hatte ich mich in einen Schuljungen aus der Unterstufe verwandelt.
»Eigentlich nicht, Sir«, erwiderte ich. »Ich glaube eher, dass Ophelia für Shakespeare eine Art Symbol war … wie die Kräuter und Blumen, die sie pflückt.«
»Hä? Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, Ophelia ist das unschuldige Opfer einer mörderischen Familie, deren Mitglieder allesamt in höchstem Maße selbstsüchtig sind. So sehe ich das zumindest.«
»Soso. Ist ja ausgesprochen interessant.«
»Trotzdem«, setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »war es mir eine Genugtuung, dass dein Vater vom Lateinunterricht immerhin so viel behalten hat, um dich Flavia zu nennen, die Goldhaarige.«
»Mein Haar ist aber eher mausbraun.«
»Ach so.«
Wir schienen in einer der Sackgassen angelangt zu sein, wie es sie im Gespräch mit alten Menschen öfter gibt. Ich dachte schon, der alte Mann sei mit offenen Augen eingedöst.
Aber da sagte er unvermittelt: »Na schön, dann zeig mal her.«
»Sir?«
»Meinen Rächer von Ulster. Ich würde gern einen Blick drauf werfen. Du hast ihn doch dabei, nicht wahr?«
»Ich … schon, Sir, aber woher …?«
»Dann wollen wir mal kombinieren«, sagte er seelenruhig, als hätte er verkündet: Lasset uns beten.
»Horace Bonepenny, seinerzeit Zauberkünstler sowie langjähriger Schwindler und Betrüger, liegt auf einmal tot im Garten seines alten Schulfreundes Schnäppi de Luce. Wieso? Höchstwahrscheinlich ist Erpressung im Spiel. Darum wollen wir von Erpressung ausgehen. Nur ein paar Stunden sind vergangen, da stöbert Schnäppis Tochter im Zeitungsarchiv von Bishop’s Lacey nach Artikeln über das Ableben meines lieben alten Kollegen Mr Twining, er ruhe in Frieden. Woher ich das weiß? Das liegt doch auf der Hand.«
»Miss Mountjoy.«
»Sehr gut, Kleine. Tilda Mountjoy, ganz recht. Seit einem Vierteljahrhundert meine Augen und Ohren im Dorf und der Umgebung.«
Ich hätte es wissen müssen! Miss Mountjoy war ein Spitzel!
»Weiter im Text. Am letzten Tag seines Lebens kam es dem Dieb Bonepenny in den Sinn, sich im Dreizehn Erpel einzuquartieren. Anschließend gelingt es dem dummen Grünschnabel - nun ja, ein Grünschnabel ist er nicht
Weitere Kostenlose Bücher