Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
unverbrüchliche Freundschaft an einer Meinungsverschiedenheit über den Preis eines Teppichs zerbrach?«
Ich musterte ihn forschend. Wollte er mich auf den Arm nehmen? Aber er schien es ganz ernst zu meinen.
»Ich platze verständlicherweise vor Neugier darauf, was sich kürzlich Unerfreuliches bei euch auf Buckshaw zugetragen hat, meine liebe Flavia, aber ich weiß, dass deine Lippen schon aus Schamgefühl, Familiensinn und Verpflichtung gegenüber der Obrigkeit dreifach versiegelt sind. Wenn auch nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge, hab ich Recht?«
Ich nickte.
»Dann darfst du nunmehr deine Frage an das Orakel richten.«
»Sind Sie in Greyminster zur Schule gegangen?«
Max kicherte zwitschernd wie ein kleiner gelber Vogel.
»Wo denkst du hin! Das wäre dann doch eine Nummer zu edel für mich gewesen. Nein, ich bin auf dem Kontinent zur Schule gegangen, besser gesagt in Paris, und dort fand meine Ausbildung eher draußen als drinnen statt. Aber mein Vetter Lombard ist ein alter Greyminsterianer. Er lobt die Schule in den höchsten Tönen, wenn er nicht gerade beim Pferderennen ist oder bei Montfort Karten spielt.«
»Hat Ihr Vetter irgendwann einmal den Rektor Dr. Kissing erwähnt?«
»Den Briefmarken-Guru? Mein liebes Mädchen, er spricht kaum von jemand anderem. Er verehrt den alten Herrn richtiggehend. Behauptet steif und fest, nur dem alten Kissing hätte er das zu verdanken, was aus ihm geworden ist, was zwar nichts Besonderes ist, aber immerhin …«
»Lebt er denn noch? Dr. Kissing, meine ich? Er muss doch schon steinalt sein, oder? Ich würde alle meine Besitztümer drauf verwetten, dass er längst tot ist.«
»Dann wärst du dein Geld aber schnell los«, erwiderte Max amüsiert. »Und zwar bis auf den letzten Penny!«
Haus Krähenwinkel schmiegte sich in die Kissen des gemütlichen Bettes, das von den Junkerbergen und dem sogenannten Kürbiskopf gebildet wurde. Letzteres war eine eigenartige Erhebung, die von weitem wie ein Hügelgrab aus der Eisenzeit aussah, aus der Nähe betrachtet jedoch deutlich größer und wie ein Totenschädel geformt war.
Ich lenkte Gladys in die Pooker’s Lane, die am Unterkiefer des Schädels, beziehungsweise an seinem östlichen Rand entlangführte. Am Ende der Straße säumten dichte Hecken die Zufahrt zum Haus Krähenwinkel.
War man an diesen struppigen Überlebenden längst vergangener Zeiten vorbeigefahren, erstreckten sich nach Osten, Westen und Süden ungepflegte, stachlige Rasenflächen. Trotz des sonnigen Tages lagen an mehreren schattigen Stellen noch letzte Nebelschwaden über dem ungemähten Gras. Hier und da ragte eine riesige Rotbuche auf. Die dicken Stämme und die herabhängenden Zweige dieser Bäume ließen mich immer an eine bedrückte Elefantenfamilie denken, die allein durch die kahle afrikanische Savanne zieht.
Hinter den Rotbuchen spazierten zwei uralte Damen in lebhaftem Zwiegespräch daher, als konkurrierten sie um die Rolle der Lady Macbeth. Die eine war in ein durchsichtiges Musselin-Nachthemd gewandet und hatte eine Morgenhaube auf dem Kopf, die dem 18. Jahrhundert zu entstammen schien, während ihre Gefährtin, die in ein zyanblaues Zeltkleid gehüllt war, Messingohrringe groß wie Suppenteller trug.
Das Haus selbst war das, was man oft schwärmerisch als »altehrwürdiges Gemäuer« bezeichnet. Der ehemalige Stammsitz der Familie de Lacey, von der die Ortschaft Bishop’s Lacey ihren Namen hat (angeblich waren es entfernte Verwandte der de Luces), war im Lauf der Zeit immer mehr heruntergekommen, vom Landhaus eines geschäftstüchtigen, erfolgreichen hugenottischen Leinenhändlers zu dem, was es heute war, nämlich einem privaten Altersheim, das Daffy und ich sofort
»Bleak House« getauft hatten. Beinahe wünschte ich mir meine Schwester herbei.
Zwei staubbedeckte Automobile, die nebeneinander auf dem Vorhof standen, bezeugten den Mangel sowohl an Personal als auch an Besuchern. Ich ließ Gladys neben einer uralten Araukarie ins Gras fallen und ging die bemooste, abgebröckelte Vortreppe hoch.
Auf einem handgemalten Schild stand Bitte klingeln. Ich zog an dem Emaillegriff. Von drinnen ertönte ein hohles Scheppern wie von einem auf Kuhglocken gespielten Angelus-Läuten und kündigte den Bewohnern, wer sie auch sein mochten, meine Ankunft an.
Da nichts geschah, klingelte ich noch einmal. Die beiden alten Damen spielten mittlerweile »Teegesellschaft«, knicksten anmutig und affektiert, hielten unsichtbare Tassen und
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