Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
mir ohnehin gleich den Arm auf den Rücken drehen würde, sträubte ich mich nicht.
»Ich habe die Marke in Vaters Ankleidezimmer versteckt«, sprudelte ich hervor. »In dem Zimmer gibt es zwei Uhren: eine große auf dem Kaminsims und eine kleinere auf dem Nachttisch neben dem Bett. Die Briefmarke klebt auf der Rückseite des Pendels der Kaminuhr.«
Worauf etwas Furchtbares und, wie sich herausstellen sollte, zugleich Rettendes geschah.
Meine schon fast vergessene Erkältung hatte sich den ganzen Tag über zurückgehalten. Mir war schon früher aufgefallen, dass Erkältungen, genauso, wie sie sich zurückziehen, wenn man schläft, sich oft gerade dann bemerkbar machen, wenn man eigentlich viel zu beschäftigt ist, sich ihnen zu widmen. Meine Erkältung jedenfalls kehrte in diesem Augenblick schlagartig zurück.
Ich vergaß einen Augenblick, dass der Rächer von Ulster noch darinsteckte, und zog mein Taschentuch heraus. Der erschrockene
Pemberton muss gedacht haben, dass die jähe Bewegung meine Flucht einleiten sollte - oder dass ich sogar auf ihn losgehen wollte.
Wie auch immer, als ich das Taschentuch an die Nase führte, packte er, noch ehe ich das Tuch richtig entfaltet hatte, blitzschnell meine Hand, knüllte das Tuch fest zusammen und stopfte es mir samt Briefmarke in den Mund.
»So!«, sagte er. »Dann werden wir doch mal sehen.«
Er nahm die Jacke von der Schulter, breitete sie wie einen Torreroumhang aus, und das Letzte, was ich sah, als er mir das Ding über den Kopf warf, war Mr Twinings Grabstein mit der Inschrift » Vale! «. Gehabt euch wohl!
Etwas spannte sich um meine Schläfen und ich vermutete, dass Pemberton die Jacke mit den Riemen seiner Zeichenmappe über meinem Kopf festzurrte.
Dann warf er mich über seine Schulter und trug mich mühelos wie ein Metzger ein Stück Rindfleisch wieder auf die andere Flussseite. Mir drehte sich noch alles, da hatte er mich auch schon unsanft wieder auf die Füße gestellt.
Er packte mich mit einer Hand im Nacken, hielt mit der anderen meinen Arm fest und stieß mich den Treidelpfad entlang.
»Setz immer schön einen Fuß vor den anderen, bis ich dir sage, dass du stehen bleiben sollst.«
Ich versuchte, um Hilfe zu rufen, aber mein Mund war voll nassem Taschentuch, sodass ich nur ein quiekendes Grunzen wie von einem Schweinchen zustande brachte. Ich konnte mich nicht mal beschweren, dass er mir weh tat.
Da begriff ich, dass ich noch nie in meinem Leben solche Angst gehabt hatte.
Während ich blindlings vor ihm her stolperte, sprach ich ein Stoßgebet nach dem anderen. Irgendjemand musste uns doch sehen! Dann würde uns der Betreffende bestimmt etwas zurufen, und das würde ich wohl trotz der um den Kopf gebundenen
Jacke hören. Daraufhin würde ich mich losreißen und auf die Stimme zurennen. Wenn ich das aber versuchte, ohne dass jemand anders in der Nähe war, bestand die Gefahr, dass ich in den Fluss fiel und Pemberton mich einfach ertrinken ließ.
»Halt!«, befahl er plötzlich unvermittelt, nachdem er mich ungefähr hundert Meter weit vor sich hergeschubst hatte. »Rühr dich nicht vom Fleck.«
Ich gehorchte.
Ich hörte es scheppern, dann knarrte es wie von ungeölten Türangeln. Die Garage!
»Eine Stufe hoch«, sagte er. »So ist’s recht … und jetzt drei Schritte geradeaus. Und wieder stehen bleiben.«
Hinter uns schloss sich die Tür mit hölzernem Ächzen wie ein Sargdeckel.
»Taschen ausleeren!«, kommandierte Pemberton.
Ich hatte nur eine Tasche, nämlich die in meinem Pullover. Und da war nichts drin außer dem Schlüssel zur Küchentür von Buckshaw. Vater bestand darauf, dass wir Schwestern für Notfälle immer einen Schlüssel bei uns trugen, und da er hin und wieder Stichproben machte, ging ich nie ohne Schlüssel aus dem Haus. Als ich die Tasche umkehrte, hörte ich, wie der Schlüssel auf den Holzboden fiel, weghüpfte und über die Dielen schlitterte. Dann verriet mir ein leises Klackern, dass er auf Beton gelandet war.
»Verdammter Mist!«, fluchte Pemberton.
Wunderbar! Der Schlüssel war bestimmt in die Mechanikergrube gefallen. Jetzt musste Pemberton die Bretter abnehmen und hinuntersteigen. Meine Hände waren frei. Ich konnte mir die Jacke vom Kopf reißen, zur Tür rausrennen, mir den Knebel herausziehen und wie am Spieß schreiend zur Hauptstraße laufen. Die war kaum eine Minute entfernt.
Ich behielt Recht. Schon hörte ich das unverwechselbare Geräusch von schweren Bohlen, die über den Boden
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