Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
stand ich knöcheltief in Unrat. Ich hörte Pemberton mit dem Fuß darin herumscharren. Er hielt mich immer noch mit eisernem Griff am Arm fest und ließ nur einmal kurz locker, als er sich bückte, um etwas aufzuheben. Den Schlüssel. Wenn er den sehen konnte, dachte ich, fiel offenbar ein Schimmer Tageslicht auf den Boden der Grube.
Der Boden der Grube … Aus unerfindlichen Gründen fielen mir Inspektor Hewitts rätselhafte Worte ein, als er mich von der Polizeiwache nach Hause gefahren hatte. Die Streusel schmecken süß, jedoch, viel süßer schmeckt der Boden noch!
Was zum Kuckuck sollte das bedeuten? Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
»Tut mir leid, Flavia«, unterbrach Pemberton meine Grübeleien, »ich muss dich leider fesseln.«
Ich hatte noch gar nicht begriffen, was er gesagt hatte, da drehte er mir auch schon die Arme auf den Rücken und band mir die Handgelenke zusammen. Mit seiner Krawatte vielleicht?
Aber ich legte geistesgegenwärtig wieder die Fingerspitzen zusammen und drückte die Hände auseinander, wie neulich, als mich Feely und Daffy in den Wandschrank gesperrt hatten. Wann war das gewesen? Letzten Mittwoch? Es hätte auch vor tausend Jahren sein können.
Bedauerlicherweise war Pemberton nicht blöd. Er durchschaute sofort, was ich vorhatte, zwickte mich schmerzhaft in die Handrücken, und mein Dächlein stürzte ein. Anschlie ßend zurrte er die Fesseln ordentlich fest und verknotete sie doppelt und dreifach, wobei er bei jedem Knoten sicherheitshalber noch einmal kräftig zog.
Als ich mit dem Daumen über den Knoten fuhr, fühlte er sich glatt und weich an. Seidenweich. Er hatte tatsächlich seine Krawatte benutzt. Ein niederschmetternder Befund!
Meine Handgelenke schwitzten schon, und Feuchtigkeit lässt Seidenfasern einlaufen. Besser gesagt: Seidenfasern bestehen wie Haare aus Eiweiß und schrumpfen zwar selbst nicht, können sich aber bei entsprechender Webtechnik und unter der Einwirkung von Feuchtigkeit erbarmungslos zusammenziehen. Bald würden meine Hände nicht mehr richtig durchblutet werden, und nach einer Weile …
»Hinsetzen!« Pemberton drückte mich an der Schulter zu Boden, und ich setzte mich.
Seine Gürtelschnalle klirrte, dann schlang er mir den Gürtel um die Knöchel und zog ihn fest.
Anschließend sagte er nichts mehr. Seine Schritte knirschten
auf dem Beton, als er die Stufen hinaufstapfte, dann hörte ich, wie er die schweren Bretter wieder über die Öffnung zog.
Kurz darauf war alles still. Er war weg.
Ich war allein in der Grube, und außer Pemberton wusste kein Mensch, wo ich war.
Einsam und verlassen würde ich hier unten sterben müssen, und wenn irgendwann jemand meine Leiche entdeckte, würde man meine sterblichen Überreste in einen blitzblanken schwarzen Leichenwagen verfrachten und in ein muffiges Leichenschauhaus überführen und dort auf einen Edelstahltisch legen.
Als Erstes würde man mir die Kiefer öffnen und den durchweichten Knebel herausziehen, und wenn man das Taschentuch neben meinen gebleichten Knochen ausbreitete, würde eine orangefarbene Briefmarke heraus- und zu Boden flattern - eine Briefmarke aus dem Besitz des Königs höchstpersönlich. Das hörte sich an wie aus einem Krimi von Agatha Christie, und bestimmt würde jemand, wenn auch vielleicht nicht Miss Christie selbst, einen Roman darüber verfassen.
Ich wäre dann zwar tot, aber meine Geschichte würde auf der Titelseite der News of the World prangen. Wäre ich nicht so zerschlagen und verängstigt gewesen, hätte mich diese Vorstellung womöglich belustigt.
24
E ntführt zu werden ist irgendwie anders, als man es sich gemeinhin vorstellt. Zunächst einmal hatte ich meinen Entführer weder gebissen noch gekratzt. Ich hatte auch nicht geschrien. Ich war still und gehorsam neben ihm hergetrabt wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird.
Die einzige Entschuldigung, die mir dafür einfällt, ist die, dass ich ganz und gar mit fieberhaftem Nachdenken beschäftigt war, und keine Kraft mehr für meine Gliedmaßen übrig blieb. Es war ein erstaunlicher Haufen Unsinn, der mir jetzt durch den Kopf ging.
Zum Beispiel fiel mir ein, dass Maximilian behauptet hatte, auf den Kanalinseln brauche man als Opfer eines Verbrechens nur zu rufen: Haruh! Haruh, mon Prince! On me fait tort!
Leicht gesagt, aber schwer getan, wenn man den Mund voll Taschentuch hat und der Kopf in ein fremdes Tweedjackett gewickelt ist, das betäubend nach Schweiß und Pomade
Weitere Kostenlose Bücher