Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
Klang der Stimme gefror mir das Blut in den Adern.
Ich fuhr herum. Hinter mir stand Frank Pemberton.
23
W enn sich jemand in einem Roman oder einem Kinofilm einem Mörder gegenübersieht, sind dessen erste Worte immer voller finsterer Drohungen, oft bedient sich der Betref fende sogar bei Shakespeare.
»Hoho!«, macht dann der Bösewicht und zitiert:«Liebe findt zuletzt ihr Stündlein« oder »Klug allzubald, sagt man, wird nimmer alt.«
Frank Pemberton jedoch sagte nichts dergleichen. Ganz im Gegenteil.
»Tag, Flavia.« Er grinste schief. »Das ist ja lustig, dass wir uns hier begegnen.«
Mein Herz raste, und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, sodass sie trotz der kalten Schauer, die mich überliefen, heiß wie Backbleche wurden.
Mir schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: Ich darf mir nichts anmerken lassen … Ich darf mir nichts anmerken lassen. Er darf auf keinen Fall merken, dass ich weiß, dass er Bob Stanley ist.
»Guten Tag«, erwiderte ich mit möglichst fester Stimme. »Wie war’s beim Grabmal?«
Ich merkte gleich, dass ich damit niemandem etwas vormachen konnte. Er musterte mich wie die Katze den Kanarienvogel, wenn beide allein zu Hause sind.
»Das Grabmal? Ach! Ein Praliné aus weißem Marmor. Sah einer Marzipanmandel verblüffend ähnlich, bloß viel grö ßer.«
Ich beschloss, so lange mitzuspielen, bis ich mir einen Plan zurechtgelegt hatte.
»Ihr Verleger war doch bestimmt begeistert.«
»Mein Verleger? Ach, ja. Der alte …«
»… Quarrington«, sagte ich.
»Ganz recht, der alte Quarrington. Der war völlig aus dem Häuschen.«
Pemberton, wie ich ihn insgeheim immer noch nannte, stellte seinen Rucksack ab und knotete die Lederbänder seiner Mappe auf.
»Puh!«, machte er. »Ganz schön warm heute, was?«
Er zog die Jacke aus, warf sie achtlos über die Schulter und deutete mit dem Daumen auf Mr Twinings Grabstein.
»Was findest du denn an diesem Grab so spannend?«
»Mr Twining ist ein ehemaliger Lehrer meines Vaters«, antwortete ich.
»Ach so!« Er setzte sich ins Gras und lehnte sich so ungezwungen an den Sockel, als wäre er Lewis Carroll und ich Alice und wir säßen am Fluss Isis beim Picknick.
Wie viel weiß er?, überlegte ich fieberhaft. Ich wartete auf seine Eröffnung. Bis dahin blieb mir noch Zeit zum Nachdenken.
Ich plante bereits meine Flucht. Konnte ich ihm entkommen, wenn ich einfach losrannte? Ich hatte so meine Zweifel. Wenn ich zum Fluss lief, würde er mich einholen, ehe ich auch nur halb drüben war. Ich konnte natürlich auch über die Wiese zum Malplaquet-Hof rennen, aber dort Hilfe aufzutreiben würde noch schwieriger sein als auf der Hauptstraße.
»Ich habe gehört, dass dein Vater ein großer Briefmarkensammler ist«, sagte Pemberton unvermittelt und schaute unbekümmert zu dem Bauernhof hinüber.
»Er sammelt Briefmarken, ja. Woher wissen Sie das?«
»Mein Verleger, der alte Quarrington, hat es heute Vormittag erwähnt. Er erwägt, deinen Vater zu bitten, ein Buch über
die Geschichte einer seltenen Briefmarke zu schreiben, weiß aber nicht recht, wie er ihm das schmackhaft machen soll. Ich habe nur mit halbem Ohr zugehört … auf diesem Gebiet kenne ich mich nicht aus … aber ich habe ihm vorgeschlagen, sich mal mit dir in Verbindung zu setzen.«
Das war gelogen, und ich merkte es sofort. Da ich selbst eine gewiefte Schwindlerin war, roch ich Lunte, noch ehe er ausgeredet hatte: seine übertrieben ausführliche Schilderung, die beiläufige Präsentation und die Verpackung in harmloses Geplauder.
»Dabei könnte durchaus ein schöner Batzen Geld herausspringen«, setzte er hinzu. »Der alte Quarrington ist ziemlich flüssig, seit er in die Norwood-Millionen eingeheiratet hat. Aber verrate bloß nicht, dass ich dir das erzählt habe. Ich könnte mir denken, dass dein Vater zu einem bisschen Kleingeld nicht Nein sagen würde. Davon könnte er sich wieder eine neue New-Guinea-Halfpenny-Dingsbums kaufen, stimmt’s? Es ist doch bestimmt kostspielig, ein großes Anwesen wie Buckshaw zu unterhalten.«
Das ging nun aber entschieden zu weit. Für wie naiv hielt mich der Kerl?
»Vater hat momentan ziemlich viel zu tun«, entgegnete ich. »Aber ich kann ihn ja mal darauf ansprechen.«
»Richtig, du hattest ja von einem unerwarteten Todesfall erzählt … mit Polizei und allem Drum und Dran. Das zerrt bestimmt an den Nerven.«
Wollte er nun heraus mit der Sprache, oder wollte er Konversation machen, bis es dunkel wurde?
Weitere Kostenlose Bücher