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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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mich dann rückwärts eine nach der anderen nach oben schieben. Dort angekommen, konnte ich die Bretter, mit denen die Grube zugedeckt war, mit den Schultern anheben. Warum war mir das nicht gleich eingefallen, bevor ich mich bis zur Erschöpfung verausgabt hatte?
    In diesem Moment überkam mich etwas, erstickte mein Bewusstsein wie ein Kopfkissen. Ehe ich meine Erschöpfung als das erkennen konnte, was sie war, ehe ich mich dagegen aufbäumen konnte, war ich bereits erledigt. Ich spürte noch, wie ich zwischen den raschelnden Zeitungen zu Boden sank und auf das Papier fiel, das mir trotz der kalten Luft aus dem Durchlass auf einmal erstaunlich warm vorkam.
    Ich bewegte mich ein wenig, als wollte ich mich noch tiefer in sie hineingraben, und zog die Knie bis unter das Kinn an. Und schon war ich eingeschlafen.
     
    Ich träumte, Daffy würde zu Weihnachten eine Pantomime aufführen. Die große Eingangshalle auf Buckshaw hatte sich in ein prunkvolles Wiener Theater verwandelt, mit rotem Samtvorhang und einem großen Kristallkronleuchter, in dem die Flammen Hunderter Kerzen hüpften und flackerten.
    Dogger, Feely, Mrs Mullet und ich saßen nebeneinander auf Stühlen, während Vater ganz in der Nähe an einer Holzschnitzerbank mit seinen Briefmarken beschäftigt war.
    Das Stück war Romeo und Julia , und Daffy spielte in einer bemerkenswerten Eine-Frau-Aufführung sämtliche Rollen. Eben war sie Julia auf dem Balkon (der Absatz oben auf unserer Westtreppe), im nächsten Moment erschien sie, obwohl sie kaum länger als einen Wimpernschlag weg gewesen war, unten im Rang als Romeo.
    Sie flitzte hoch und runter, hoch und runter und bewegte unsere Herzen mit Worten von zärtlicher Liebe.
    Ab und zu legte Dogger den Zeigefinger an die Lippen und
stahl sich leise aus dem Zimmer, um kurz darauf mit einer bemalten Schubkarre wiederzukehren, die vor Briefmarken schier überquoll, und deren Inhalt er Vater vor die Füße kippte. Vater, der emsig damit beschäftigt war, mit Harriets Nagelschere Briefmarken in der Mitte durchzuschneiden, grunzte nur kurz, ohne aufzusehen, und machte mit seiner Arbeit weiter.
    Mrs Mullet lachte und lachte über Julias alte Amme, wurde ganz rot und warf uns allen merkwürdige Blicke zu, als wäre in den Worten eine verklausulierte Nachricht verborgen, die nur sie verstand. Sie wischte sich mit einem getupften Taschentuch über das rote Gesicht, wrang es in den Händen hin und her, bis sie es zusammenknüllte und in den Mund steckte, um ihr hysterisches Lachen zu ersticken.
    Jetzt beschrieb Daffy (als Mercutio), wie Mab, die Zauberfee, galoppiert:
    Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen -
Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
weil ihren Odem Näscherei verdarb.
    Ich warf Feely einen verstohlenen Blick zu, die, trotz der Tatsache, dass ihre Lippen aussahen wie etwas, das man auf dem Karren eines Fischhändlers finden mochte, Neds Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Ned saß hinter ihr und beugte sich über ihre Schulter nach vorne, bat mit gespitzten Lippen um einen Kuss. Aber jedes Mal, wenn Daffy als Romeo vom Balkon in den Rang herabhuschte (wobei sie mit dem bleistiftdünnen Oberlippenbart eher wie David Niven in Irrtum im Jenseits als wie der noble Montague aussah), sprang Ned auf und klatschte frenetisch Beifall, begleitet von gellenden Pfiffen, die er mit zwei Fingern produzierte, während Feely ungerührt ein Pfefferminzbonbon nach dem anderen in den Mund warf und erst dann erstaunt die Luft anhielt, als Romeo in Julias Marmorgrab eindrang:
    Denn hier liegt Julia: ihre Schönheit macht
Zur lichten Feierhalle dies Gewölb’.
Da lieg begraben, Tod …
    Ich erwachte. Verdammt! Etwas rannte mir über die Füße: etwas Nasses und Pelziges.
    »Dogger!«, versuchte ich zu schreien, aber mein Mund war voll. Mein Unterkiefer tat weh, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er gerade vom Henkersblock heruntergezogen worden.
    Ich trat mit beiden Füßen aus, und etwas trippelte mit wütendem Zwitschern über das raschelnde Papier.
    Eine Wasserratte. Wahrscheinlich wimmelte es in der Grube von ihnen. Hatten sie mich im Schlaf bereits angeknabbert? Allein der Gedanke ließ mich zusammenzucken.
    Ich setzte mich mühevoll auf und lehnte mich wieder an die Wand, die Knie unters Kinn gezogen. Es war wohl zu viel erwartet, dass die Ratten meine Fesseln durchknabberten, so wie im Märchen. Eher würden sie mir die Fußgelenke bis zum Knochen abnagen, und ich würde nicht einmal etwas dagegen

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