Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
erklären mag, weshalb mich das Geschepper dermaßen zusammenzucken ließ.
Ich stürmte aus dem Labor und die Treppe hinunter. Unten
traf ich einen beleibten Mann mit dem Klöppel in der Hand an.
»Der Leichenbeschauer«, stellte er sich mir kurz und knapp vor. Obwohl er sich nicht die Mühe machte, mir seinen Namen zu nennen, erkannte ich ihn sofort. Es war Dr. Darby, einer der beiden Ärzte aus der einzigen Praxis in Bishop’s Lacey.
Dr. Darby glich John Bull wie ein Ei dem anderen: das puterrote Gesicht, das Dreifachkinn und der Bauch, der sich wie ein geblähtes Segel vorwölbte. Er trug einen braunen Anzug und eine gelb karierte Weste und hatte die typische schwarze Arzttasche dabei. Falls er sich noch an das Mädchen erinnerte, dessen Hand er im Vorjahr nach dem Zwischenfall mit einem widerspenstigen Laborglas genäht hatte, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. Er stand einfach nur da, erwartungsvoll wie ein Jagdhund, der Witterung aufgenommen hat.
Vater ließ sich immer noch nicht blicken, auch Dogger machte sich rar. Mir war klar, dass Feely und Daffy sich niemals herablassen würden, auf den Ton einer Glocke zu reagieren (»Das ist mir zu pawlowsch«, würde Feely sagen), und Mrs Mullet verließ ihre Küche so gut wie nie.
»Die Beamten sind im Garten«, sagte ich darum. »Ich bringe Sie hin.«
Als wir nach draußen in den Sonnenschein traten, blickte Inspektor Hewitt auf. Er betrachtete gerade die Schnürsenkel eines schwarzen Schuhs, der ziemlich unästhetisch zwischen den Gurken hervorlugte.
»Moin, Fred«, sagte er. »Dachte mir, du schaust dir das hier am besten mal an.«
»Mhm«, brummte Dr. Darby, klappte seine Tasche auf, kramte darin herum und förderte schließlich eine weiße Papiertüte zutage. Er griff hinein, holte ein Gletschereisbonbon heraus, steckte es in den Mund und lutschte laut und genüsslich daran.
Dann stapfte er durch Gras und Blätter und kniete sich schwerfällig neben die Leiche.
»Irgendwer, den wir kennen?«, nuschelte er.
»Glaub nicht«, antwortete Inspektor Hewitt. »Leere Taschen … keine Papiere … Grund genug für die Annahme, dass er erst kürzlich aus Norwegen gekommen ist.«
Kürzlich aus Norwegen gekommen? Wenn diese Schlussfolgerung nicht des großen Holmes würdig war! Und ich hatte sie mit eigenen Ohren vernommen! Beinahe hätte ich dem Inspektor sein voriges unverschämtes Benehmen verziehen. Aber nur beinahe.
»Die Anfragen laufen bereits … Überseehäfen und so weiter.«
»Diese verflixten Norweger!« Dr. Darby griff nach seiner Tasche und machte sie zu. »Versammeln sich bei uns wie die Vögel auf einem Leuchtturm, dann hauchen sie hier ihren Geist aus, und wir dürfen die Sauerei wegmachen. Ich finde das nicht anständig.«
»Was soll ich als Todeszeitpunkt eintragen?«, erkundigte sich Inspektor Hewitt.
»Schwer zu sagen. Ist immer knifflig. Na ja, nicht immer, aber oft.«
»Pi mal Daumen.«
»Lässt sich bei Zyanose schwer feststellen; das dauert immer’ne Weile, bis man mit Sicherheit sagen kann, ob sie kommt oder geht. Acht bis zwölf Stunden, würde ich sagen. Mehr kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir unseren Freund auf dem Tisch haben.«
»Soll heißen …?«
Dr. Darby schob die Manschette zurück und sah auf die Uhr.
»Warten Sie mal … jetzt haben wir 8.22 Uhr, demnach … nicht früher als gestern Abend um 20 Uhr und nicht später als um, sagen wir … Mitternacht.«
Um Mitternacht! Ich muss wohl nach Luft geschnappt haben, denn sowohl Inspektor Hewitt als auch Dr. Darby drehten sich zu mir um. Sollte ich ihnen sagen, dass mir der Fremde aus Norwegen erst vor ein paar Stunden seinen letzten Atemzug ins Gesicht gehaucht hatte?
Auf diese Frage gab es nur eine Antwort. Ich nahm die Beine in die Hand.
Ich traf Dogger beim Beschneiden der Rosen unter dem Bibliotheksfenster an. Ihr intensiver Duft lag schwer in der Luft und erinnerte an das köstliche Aroma orientalischer Teekisten.
»Ist Vater noch nicht runtergekommen, Dogger?«, erkundigte ich mich.
»Die Lady Hillingdons sind in diesem Jahr besonders schön, Miss Flavia«, erwiderte er, als könnte er kein Wässerchen trüben, als hätte unsere heimliche Begegnung in der Nacht nie stattgefunden. Bitte sehr, dachte ich, das Spielchen kannst du haben.
»Allerdings«, bestätigte ich. »Und Vater?«
»Ich glaube, der hat heute Nacht unruhig geschlafen. Wahrscheinlich bleibt er ein bisschen länger liegen.«
Ein bisschen länger? Wie konnte Vater im Bett liegen
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