Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
jemand aus dem Haushalt etwas mitbekam, in ihrem Schlafzimmer verschwinden lassen, um sich in aller Ruhe seligen Liebesträumereien hinzugeben.
»Aber tote Vögel? Noch nie. Du kennst mich doch, Flavia. So was würd’ ich nie machen.«
Ich überlegte kurz und kam zu dem Schluss, dass er Recht hatte. Es passte nicht zu ihm. Meine nächste Frage stellte sich jedoch als echter Glückstreffer heraus.
»Weiß Mary Stoker eigentlich, dass du in Ophelia verschossen bist?« Den Ausdruck hatte ich aus irgendeinem amerikanischen Kinofilm, aus Heimweh nach St. Louis oder Vier Schwestern, und endlich hatte ich mal Gelegenheit, ihn anzubringen. Wie Daphne prägte ich mir bestimmte Ausdrücke und Redewendungen ein, benötigte allerdings kein Kontobuch, um sie mir aufzuschreiben.
»Was hat denn Mary damit zu tun? Sie ist Tullys Tochter, und damit hat sich’s.«
»Komm schon, Ned, ich hab genau gesehen, wie ihr euch heute Vormittag geküsst habt, als ich … zufällig vorbeikam.«
»Ich wollte sie bloß’n bissel trösten. Mehr war nicht.«
»Weil irgendwer sie von hinten überrascht hatte?«
Ned sprang auf. »Du blöde …!«, rief er. »Das soll keiner wissen!«
»Als sie seine Bettwäsche gewechselt hat?«
»Du bist eine Hexe, Flavia de Luce!«, brüllte Ned. »Hau ab! Fahr heim!«
»Erzähl’s ihr ruhig, Ned«, sagte da jemand leise. Als ich mich umdrehte, stand Mary in der Tür.
Mit einer Hand stützte sie sich am Türrahmen ab, mit der anderen fasste sie sich an den Kragen wie Tess von den d’Urbervilles leibhaftig. Von Nahem sah man, dass sie grobe, rot aufgesprungene Hände hatte und fürchterlich schielte.
»Erzähl’s ihr ruhig«, wiederholte sie. »Jetzt isses sowieso egal, oder?«
Ich merkte sofort, dass sie mich nicht leiden konnte. Das ist nämlich ein weiblicher Urinstinkt, dass ein Mädchen sofort merkt, ob ein anderes Mädchen es leiden kann oder nicht. Feely behauptet, im Gegensatz dazu sei zwischen Männern und Frauen die Telefonverbindung unterbrochen, und man wisse nie, wer von beiden aufgelegt hätte. Bei einem Jungen wüsste man nie, ob er in einen verknallt ist oder einen nur veräppeln will; wie ein Mädchen einen findet, weiß man nach drei Sekunden. Zwischen Mädchen gibt es einen unaufhörlichen Strom unhörbarer und unsichtbarer Signale, wie die Hochfrequenzradiosignale zwischen Schiffen auf hoher See und der Küste, und diese geheime Abfolge von Punkten und Strichen signalisierte mir, dass Mary mich nicht leiden konnte.
»Na los, erzähl’s ihr!«, forderte Mary ihn auf.
Ned schluckte schwer und klappte den Mund auf, aber kein Laut kam heraus.
»Du bist doch Flavia de Luce, oder?«, fragte Mary. »Eine von denen oben aus Buckshaw.« Sie schleuderte es mir wie eine Torte ins Gesicht.
Ich nickte brav, als wäre ich ein vernachlässigter adliger Inzuchtbalg, der ein bisschen liebgehabt werden muss. Lieber mitspielen, dachte ich.
»Dann komm mal mit!« Mary winkte mich heran. »Aber beeil dich - und sei ja leise!«
Ich folgte ihr in eine dunkle gemauerte Speisekammer aus Stein und eine gezimmerte, steile Treppe hinauf. Oben huschten wir in eine Art Wäschekammer, eine Art hohen Wandschrank, in dem inzwischen Regale mit Putzmitteln, Seife und Bohnerwachs standen. In der Ecke lehnten kreuz und quer mehrere Aufnehmer und Besen, und es stank betäubend nach Karbol.
»Pst!« Mary kniff mich fest in den Arm. Schwere Schritte
näherten sich, kamen die Treppe hoch. Wir drückten uns in eine Ecke und passten höllisch auf, dass wir keinen Mop umschmissen.
»Der Tag wird kommen, an dem ein Cotswold-Pferd die Siegerprämie einheimst. An deiner Stelle würde ich ein paar Kröten auf Seastar setzen, und scheiß auf die Tipps, die dir irgendwelche Londoner Angeber aufschwatzen wollen. Die können doch alle ihren Arsch nicht von ihrem Ellenbogen unterscheiden!«
Das war Tully, der mit irgendwem Wetttipps austauschte, und das in so vertraulichem Ton, dass man ihn noch in Epsom Downs hören konnte. Die leise Erwiderung auf seine kleine Ansprache endete in »Har-Har!«, dann verklangen die Schritte in dem Labyrinth holzgetäfelter Flure. »Hier lang«, zischelte Mary und zog mich am Ärmel. Wir bogen in einen engen Gang ab. Mary holte einen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss geräuschlos die letzte Tür links auf.
Wir standen in einem Zimmer, das sich seit 1592, als Königin Elisabeth Bishop’s Lacey auf einer ihrer Sommer reisen durchs Land besuchte, nicht wesentlich verändert hatte.
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