Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
beigelegt zu sein, denn die Mulfords und die de Luces blieben weiterhin gute Freunde und Nachbarn, bis der letzte Mulford, Tobias, zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs sein Anwesen verkaufte und sich nach Übersee aufmachte, um seinen Vettern in den Südstaaten beizustehen.
»Hast du noch mal kurz Zeit, Flavia?«, fragte Inspektor Hewitt, der soeben aus der Haustür trat.
Hatte er auf mich gewartet?
»Klar«, erwiderte ich huldvoll.
»Wo kommst du her?«
»Bin ich verhaftet, Herr Inspektor?« Es war ein Scherz. Hoffentlich kapierte er das.
»Ich bin bloß neugierig.«
Er holte eine Pfeife aus der Jackentasche, stopfte sie und riss ein Streichholz an. Ich sah zu, wie es bis auf seine eckigen Fingerkuppen herunterbrannte.
»Ich war in der Bücherei«, verkündete ich.
Er zündete die Pfeife an und zeigte mit dem Stiel auf Gladys.
»Ich sehe aber keine Bücher.«
»Die Bücherei hatte geschlossen.«
»Ach so.«
Der Mann strahlte eine Ruhe aus, die einen wahnsinnig machen konnte. Noch mitten in einem Mordfall war er so gelassen, als spazierte er durch einen Park.
»Ich habe mit Dogger gesprochen«, sagte er. Mir fiel auf, dass er mich dabei scharf beobachtete.
»Ach ja?«, entgegnete ich, aber im Hinterkopf vernahm ich einen Ton wie von der Alarmglocke in einem U-Boot kurz vor dem Tauchgang.
Achtung!, dachte ich. Aufgepasst. Was hat ihm Dogger erzählt? Von dem sonderbaren Fremden? Von seinem Streit mit Vater? Den Drohungen?
Das war das Blöde an Leuten wie Dogger. Er konnte jederzeit aus irgendeinem nichtigen Grund einknicken. Hatte er die ganze Geschichte mit dem Fremden in Vaters Arbeitszimmer ausgeplaudert? Verflixt! Der Teufel sollte ihn holen!
»Dogger hat berichtet, du hättest ihn heute gegen vier Uhr früh geweckt und ihm mitgeteilt, dass im Garten ein Toter liegt. Stimmt das?«
Ich verkniff mir einen erleichterten Seufzer und erstickte beinahe dran. Danke, Dogger, danke! Der Herr segne und behüte dich und lasse sein Angesicht leuchten über dir! Treuer alter Dogger. Ich hab’s doch gewusst, dass man sich auf dich verlassen kann.
»Ja«, bestätigte ich, »das stimmt.«
»Was geschah dann?«
»Wir gingen nach unten und durch die Küche hinaus in den Garten. Ich habe Dogger gezeigt, wo der Tote liegt. Er hat sich neben ihn gekniet und ihm den Puls gefühlt.«
»Wie hat er das gemacht?«
»Er hat ihm die Finger an den Hals gelegt … unters Ohr.«
»Hm«, machte der Inspektor. »Und? Ich meine: War noch ein Puls festzustellen?«
»Nein.«
»Woher weißt du das? Hat Dogger das gesagt?«
»Nein.«
»Hm«, machte er noch mal. »Hast du dich auch neben den Toten gekniet?«
»Kann sein. Aber ich glaube nicht … ich weiß es nicht mehr.«
Der Inspektor schrieb sich etwas auf. Ich wusste auch was, nämlich: Unklar: Hat D. (1) F. gesagt, dass kein Puls? (2) Hat F. nL (neben Leiche) gekniet?
»Das kann ich gut nachvollziehen«, sagte er. »Du warst bestimmt ganz verstört.«
Ich rief mir den Anblick des Fremden ins Gedächtnis zurück, wie er im Morgengrauen im Gurkenbeet lag: das stoppelige Kinn, die roten Haarsträhnen, die leise hin und her wehten, die bleichen Wangen, das ausgestreckte Bein, die bebenden Finger, der letzte, röchelnde Atemzug. Und das Wort, das er mir zuhauchte … » Vale. «
Hach, was für ein Nervenkitzel!
»Ja«, sagte ich. »Ich war ganz schön baff.«
Allem Anschein nach hatte ich den Test bestanden. Inspektor Hewitt war wieder in der Küche verschwunden, wo die Sergeanten Woolmer und Graves eifrig dabei waren, unter einem Sperrfeuer aus Mrs Mullets Klatschgeschichten und Salatsandwiches ihre Ermittlungen weiterzuführen.
Als Ophelia und Daphne zum Mittagessen runterkamen, nahm ich enttäuscht zur Kenntnis, dass Ophelia heute besonders reine Haut hatte. War mein teuflischer Anschlag nach hinten losgegangen? Hatte ich durch einen launischen Zufall in der Geschichte der Chemie versehentlich eine Wundergesichtscreme entwickelt?
Mrs Mullet kam geschäftig angelaufen und stellte uns mit mürrischer Miene Suppe und Sandwiches hin.
»So was aber auch!«, schimpfte sie. »Ich bin sowieso schon über die Zeit und dann noch dieser ganze Wirbel, dabei wartet Alf schon zu Hause und überhaupt! Die haben vielleicht Nerven, lassen mich die tote Schnepfe aus der Mülltonne wühlen.« Sie schüttelte sich. »Bloß damit sie sich das Vieh noch mal ansehen können. So was aber auch! Ich hab ihnen gezeigt, wo die Mülltonne steht, und gesagt, wenn sie so scharf auf
Weitere Kostenlose Bücher