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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Balkendecke, Stuckpaneele, ein winziges, bleiverglastes Fenster, das zum Lüften offen stand, und breite Dielen, die sich wie ein sanft wogendes Meer wellten - so mein erster Eindruck.
    An einer Wand stand ein lädierter Tisch mit dem ABC Zugfahrplan (Oktober 1946) unter dem einen Bein, damit er nicht kippelte. Obendrauf standen und lagen ein nicht zueinanderpassendes Waschgeschirr aus Krug und Schüssel in Rosa und Blassgelb, ein Kamm, eine Bürste und ein kleines schwarzes Lederetui. In der Ecke neben dem offenen Fenster sah ich ein einzelnes Gepäckstück: ein billig aussehender Überseekoffer aus Vulkanfiber, der über und über mit bunten Aufklebern gepflastert war. Daneben stand ein einfacher Stuhl, dem in der Lehne eine Strebe fehlte. Auf der anderen Seite gab es einen
Kleiderschrank, der verdächtig nach Trödelmarkt aussah. Und ein Bett.
    »Das isses!«, verkündete Mary. Als sie uns einschloss, betrachtete ich sie zum ersten Mal richtig. In dem grauen Spülwasserlicht, das durch das schmutzige Fenster hereinfiel, wirkte sie älter, härter und spröder als das Mädchen mit den verarbeiteten Händen aus dem sonnenbeschienenen Hof.
    »Wahrscheinlich hast du noch nie im Leben so ein kleines Zimmer gesehen«, sagte sie spöttisch. »Ihr da oben auf Buckshaw besucht doch gern die Irrenanstalt, was? Begafft die Bekloppten - wollt mal sehen, wie unsereiner in seinen Käfigen so haust. Werft uns einen Keks durchs Gitter.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    Mary wandte sich nach mir um, damit mich die ganze Wucht ihres vernichtenden Blicks traf.
    »Tu nicht so unschuldig! Deine Schwester, diese Ophelia, hat dich doch mit’ner Nachricht für Ned hergeschickt. Sie hält mich wohl für’n Flittchen oder so was, aber das stimmt nicht!«
    Da kam ich zu dem Schluss, dass ich Mary mochte, auch wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Wer den Ausdruck »Flittchen« benutzte, war eine Freundschaft wert.
    »Hör zu«, erwiderte ich, »das mit der Nachricht stimmt nicht. Das hab ich nur zur Tarnung gesagt. Du musst mir helfen, Mary! Das machst du bestimmt. Bei uns auf Buckshaw wurde nämlich jemand umgebracht …«
    Zack! Jetzt war es raus!
    »… und niemand weiß davon, nur du und ich … und der Mörder natürlich.«
    Sie hatte sich gleich wieder im Griff und fragte: »Und wer?«
    »Keine Ahnung. Darum bin ich ja hergekommen. Ich hab mir gedacht, wenn ein Toter in unserem Gurkenbeet liegt und nicht mal die Polizei ihn identifizieren kann, ist er höchstwahrscheinlich
im Dreizehn Erpel abgestiegen - falls er überhaupt irgendwo abgestiegen ist. Kannst du mir das Gästebuch beschaffen?«
    »Nicht nötig. Wir haben zurzeit sowieso nur einen Gast, und das ist Mr Sanders.«
    Je länger ich mich mit Mary unterhielt, desto sympathischer wurde sie mir.
    »Und das hier ist sein Zimmer«, setzte sie zuvorkommend hinzu.
    »Und wo kommt Mr Sanders her?«, fragte ich.
    Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Keine Ahnung.«
    »Hat er schon mal hier übernachtet?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Dann muss ich unbedingt im Gästebuch nachsehen. Bitte, Mary, es ist wichtig! Die Polizei kommt bestimmt bald zu euch, und dann ist es zu spät.«
    »Na schön.« Sie schloss wieder auf und schlich in den Gang hinaus.
    Kaum war sie draußen, öffnete ich die Schranktür. Bis auf zwei hölzerne Kleiderbügel war er leer. Daraufhin widmete ich mich dem Überseekoffer, der mit Aufklebern besetzt war wie ein Schiffsrumpf mit Seepocken. Diese farbenfrohen Krustentiere trugen jedoch Aufschriften: Paris, Rom, Stockholm, Amsterdam, Kopenhagen, Stavanger und viele andere.
    Ich betätigte die Schließe, und zu meiner Verblüffung schnappte sie auf. Der Koffer war nicht abgeschlossen! Er ließ sich mühelos aufklappen und ich sah mich Mr Sanders’ Garderobe gegenüber: ein blauer Sergeanzug, zwei Hemden, ein Paar braune Schnürschuhe (zu blauem Serge? Das wusste ja sogar ich, dass das nicht zusammenpasste!), und ein Schlapphut wie aus dem Theater, der mich an gewisse Fotos von G. K. Chesterton aus der Radio Times erinnerte.
    Ich zog die Kofferschubladen auf, wobei ich darauf achtete, dass ich den Inhalt nicht durcheinanderbrachte: eine Haarbürste
(Perlmutt-Imitat), ein Rasierer (Valet Auto-Stop), eine Tube Rasiercreme (Marke »Morgenstolz«), eine Zahnbürste, Zahnpasta (Thymol: »besonders empfohlen zur Abtötung zahnschmelzschädigender Bakterien«), eine Nagelzange, ein Kamm (Xylonit) und ein Paar rechteckiger Manschettenknöpfe (aus natürlichem

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