Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
ich die Lösung mir zu Füßen liegen, so, wie man von einem hohen Berg herabblickt. So wie Harriet …
    So, wie ein Adler seine Beute erblickt.
    Ich beglückwünschte mich. Wenn der Fremde aus Norwegen gekommen war, noch vor dem Frühstück einen toten Vogel vor unsere Tür gelegt hatte und nach Mitternacht in Vaters Arbeitszimmer aufgetaucht war, musste er sich ganz in der Nähe einquartiert haben. In Laufweite von Buckshaw. Zum Beispiel im Wirtshaus zu den Dreizehn Erpeln.
    Es war klar wie Kloßbrühe. Der Tote im Gurkenbeet war tatsächlich Mr Sanders. Anders konnte es gar nicht sein.
    »Mary!«
    Tully brüllte wie ein Bullenkalb, und diesmal klang es, als stünde er vor der Tür.
    »Komme, Dad!« Mary griff sich den Papierkorb.
    »Du musst hier verschwinden«, raunte sie. »Warte fünf Minuten, dann lauf die Hintertreppe runter. Wie wir raufgekommen sind.«
    Damit war sie zur Tür hinaus, und schon hörte man, wie sie ihrem Vater draußen im Flur erklärte, dass sie den Papierkorb
noch ausscheuern müsse, weil ihn der Gast völlig verdreckt hätte.
    »Wir wollen doch nicht, dass jemand an irgendwelchen Bazillen stirbt, die er sich im Dreizehn Erpel geholt hat, oder?«
    Sie lernte schnell.
    Um die Wartezeit zu überbrücken, sah ich mir noch mal den Koffer an. Ich strich über die bunten Aufkleber und versuchte, mir vorzustellen, wo der Koffer schon überall gewesen war und was Mr Sanders in all diesen Städten wohl getrieben hatte, in Paris, Rom, Stockholm, Amsterdam, Kopenhagen, Stavanger. Der Aufkleber aus Paris war in Rot, Weiß und Blau gehalten, der aus Stavanger auch.
    Liegt Stavanger in Frankreich?, überlegte ich. Es klang ja nicht besonders französisch - es sei denn, man sprach es »Sta-wong-scheee« aus, so ähnlich wie den Nachnamen von Laurence Olivier. Als ich den Aufkleber befühlte, schob er sich zusammen wie Wasser vor einem Schiffsbug.
    Ich probierte die anderen Aufkleber durch, aber die klebten alle bombenfest. So fest wie das Etikett auf einer Flasche Zyankali.
    Noch einmal Stavanger. Der Aufkleber fühlte sich ein bisschen uneben an, als klebte noch etwas darunter.
    Mir rauschte das Blut durch die Adern wie Wasser über ein Mühlrad.
    Ich öffnete den Koffer noch einmal und holte den Rasierer aus der einen Schublade. Als ich die Klinge aufklappte, dachte ich, wie herrlich es doch war, dass wir Frauen - abgesehen von Ausnahmen wie Miss Pickery aus der Bücherei - uns nicht zu rasieren brauchten. Es war auch so schon schwer genug, eine Frau zu sein, da brauchte man nicht auch noch solche Utensilien mitzuschleppen.
    Ich hielt die Klinge vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger (nach dem Unfall mit dem Laborglas hatte ich mir eine strenge Predigt über den Umgang mit scharfkantigen Gegenständen
anhören müssen) und setzte sie gleich unter dem Aufkleber an, wobei ich sorgfältig an der blau-roten Zierlinie entlangschnitt, die fast über die ganze Breite des Aufklebers verlief.
    Als ich dann mit der stumpfen Seite der Klinge unter den Aufkleber fuhr und ihn anhob, rutschte etwas heraus und fiel raschelnd zu Boden. Es war ein Umschlag aus Pergamin. Solche Umschläge hatte ich auch in Sergeant Graves’ Aktentasche gesehen. Durch das halb durchsichtige Papier erkannte ich etwas Rechteckiges, Dunkles. Ich öffnete den Umschlag und drehte ihn um. Der Gegenstand fiel in meine flache Hand; genauer gesagt waren es zwei Gegenstände.
    Zwei Briefmarken. Zwei leuchtend orangefarbene Briefmarken, jede in einer gesonderten durchscheinenden Hülle. Abgesehen von der Farbe waren sie der Penny Black auf dem Schnabel der Zwergschnepfe zum Verwechseln ähnlich. Von beiden blickte mir Königin Viktoria entgegen. Ich war schwer enttäuscht!
    Vater wäre sicherlich angesichts des unversehrten Zustands der Marken in Verzückung geraten, hätte sich an der großartigen Gravierkunst, der zauberhaften Zähnung und der kunstvollen Klebschicht ergötzt. Für mich waren es zwei Banalitäten, wie man sie auf einen Brief an die grässliche Tante Felicity in Hampshire pappte, wenn man sich für ihr liebevoll ausgesuchtes Weihnachtsgeschenk in Gestalt eines Neddy, das kleine Eichhörnchen -Jahrbuchs bedanken musste.
    Andererseits - warum sollte ich die Marken eigentlich wieder zurücktun? Wenn Mr Sanders und die Leiche in unserem Garten, wie ja wohl inzwischen geklärt war, ein und dieselbe Person waren, brauchte der gute Mann jetzt keine Briefmarken mehr.
    Nein, dachte ich, die behalte ich! Irgendwann kommen sie mir

Weitere Kostenlose Bücher