Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie
seiner Reichweite um ihn herumtänzelten.
Eines Abends, nach einer Schnitzeljagd, ruhte er sich keuchend wie ein gehetzter Fuchs an einem Zauntritt aus. Da schlich sich ein kleiner Junge namens Potts von hinten an ihn heran und verpasste ihm eine schmerzhafte Backpfeife. Der Kleine wollte eigentlich gar nicht so fest zuschlagen, eher so, als ob man beim Fangenspielen jemanden abschlägt, aber ihm war die Hand ausgerutscht.
Als die anderen sahen, dass der fürchterliche Bonepenny benommen und mit blutender Nase dastand, wagten sie sich ebenfalls heran, und bald lag Bony am Boden, wurde geknufft, getreten und brutal verprügelt. In dem Moment kam ich des Wegs.
›Aufhören!‹, brüllte ich, und zu meiner Verwunderung gehorchten sie sofort und lösten sich einer nach dem anderen aus dem Knäuel von Armen und Beinen. Es muss an meinem Ton
gelegen haben. Vielleicht verlieh mir auch die Tatsache, dass sie mich etliche unerklärliche Zaubertricks hatten vorführen sehen, eine Art unsichtbare Autorität; jedenfalls trabten sie wie ein Rudel Wölfe in die Abenddämmerung davon, als ich ihnen befahl, sich wieder aufs Schulgelände zu verziehen.
›Alles in Ordnung?‹, erkundigte ich mich bei Bony und half ihm auf.
›Ich bin ziemlich weichgeklopft, aber nur an ein, zwei Stellen - ungefähr so wie der Rinderbraten von Carnforth‹, antwortete er, und wir mussten beide lachen. Carnforth war der berüchtigte Metzger in Hinley, dessen Familie Greyminster schon seit den Napoleonischen Kriegen mit Sonntagsbraten zäh wie Stiefelleder versorgte.
Ich merkte, dass Bony übler zugerichtet war, als er zugeben wollte, aber er setzte eine grimmige Miene auf. Ich bot ihm meine Schulter als Stütze an und half ihm, nach Greyminster zurückzuhumpeln.
Seit jenem Vorfall wich mir Bony nicht mehr von der Seite. Er eignete sich meine Hobbys an und schien dadurch beinahe ein anderer Mensch zu werden. Manchmal kam es mir vor, als wollte er sich richtiggehend in mich verwandeln, als stünde jener Teil meiner selbst vor mir, den ich in meinen mitternächtlichen Spiegelstudien gesucht hatte.
Ich weiß aber auch, dass wir beide nie in besserer Form waren, als wenn wir etwas gemeinsam machten. Was dem einen nicht gelang, schaffte der andere mit Leichtigkeit. Bony schien schon als mathematische Hochbegabung auf die Welt gekommen zu sein und offenbarte mir alsbald die Geheimnisse der Geometrie und Trigonometrie. Er machte ein Spiel daraus, und wir verbrachten so manche vergnügte Stunde damit, auszurechnen, auf wessen Arbeitszimmer der Glockenturm von Anson House stürzen würde, wenn wir ihn mit einer gigantischen, selbst entworfenen dampfgetriebenen Brechstange umkippen würden. Ein andermal stellten wir eine Dreiecksmessung an,
bei der es um ein geniales Labyrinth aus unterirdischen Gängen ging, die auf ein bestimmtes Zeichen hin alle gleichzeitig einbrechen und Greyminster samt allen seinen Bewohnern in einen Dante’schen Abgrund reißen würden, wo sie von Wespen, Hornissen, Bienen und Maden überfallen würden, die wir vorher dort hineingepackt hätten.«
Wespen, Hornissen, Bienen und Maden? War das wirklich Vater, der da sprach? Ich stellte fest, dass ich ihm mit ganz neuer Achtung lauschte.
»Wie wir das zustande bringen wollten«, fuhr er fort, »wurde nie richtig zu Ende gedacht. Doch schließlich stellte sich heraus, dass Bony, während ich mich mit Euklid und seinen mathematischen Theoremen anfreundete, nach ein wenig Anleitung zu einem begabten Zauberer wurde.
Das lag natürlich an seinen Fingern. Diese langen weißen Fortsätze schienen ein Eigenleben zu führen, und es dauerte nicht lang, da beherrschte Bony sämtliche Taschenspielertricks. Die unterschiedlichsten Gegenstände verschwanden zwischen seinen Fingern und tauchten dort wieder auf, und zwar dermaßen elegant und flüssig, dass sogar ich, der ich die Tricks ja kannte, kaum meinen Augen traute.
Im selben Maße, wie sich seine Zauberkünste vervollkommneten, wuchs auch seine Selbstachtung. Durch das bisschen Zauberei wurde er ein ganz neuer Bony: selbstbewusst, gewandt und vielleicht sogar ein wenig draufgängerisch. Auch seine Stimme veränderte sich. Hatte er gestern noch wie ein heiserer Schuljunge geklungen, schien er auf einmal und urplötzlich zumindest bei seinen Auftritten über einen Kehlkopf aus poliertem Mahagoni zu verfügen. Seine hypnotisierende, professionelle Stimme wusste seine Zuhörer zuverlässig zu überzeugen.
Die Auferstehung des Tschang Fu
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