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Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie

Titel: Flavia de Luce - Mord im Gurkenbeet - The Sweetness at the Bottom of the Pie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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»Es regnet.« Draußen tobte wieder ein Wolkenbruch wie schon zuvor am Tempelchen, und wieder rauschte der Regen so heftig nieder, dass man die dicken Tropfen wie Schrotkugeln auf das Fensterbrett prasseln hörte. In einem Baum auf der gegenüberliegenden Straßenseite schüttelte sich eine Saatkrähe aus wie ein nasser Regenschirm.

    »Ich kann erst nach Hause, wenn es aufgehört hat. Außerdem hat jemand Gladys geklaut.«
    »Gladys?« Sein Blick glich dem eines ausgestorbenen Lebewesens aus der Tiefsee, das aus unergründlichen Tiefen an die Oberfläche geschwommen und aufgetaucht war.
    »Mein Fahrrad.«
    Er nickte geistesabwesend, und ich wusste, dass er überhaupt nicht zuhörte.
    »Wer hat dich hergebracht?«, fragte Vater. »Er?« Er zeigte mit dem Daumen auf die Tür und meinte offenbar Inspektor Hewitt.
    »Ich bin allein hergekommen.«
    »Allein? Aus Buckshaw?«
    »Ja.«
    Das war anscheinend zu viel für ihn, denn er drehte sich wieder zum Fenster. Mir fiel unweigerlich auf, dass er die gleiche Haltung wie Inspektor Hewitt einnahm und ebenfalls die Hände auf dem Rücken verschränkte.
    »Allein. Aus Buckshaw«, wiederholte er schließlich, als wäre er gerade eben draufgekommen.
    »Ja.«
    »Und Daphne und Ophelia?«
    »Denen geht’s gut«, versicherte ich ihm. »Du fehlst ihnen schrecklich, klar, aber sie kümmern sich um alles, bis du wiederkommst.«
    Wenn ich gelogen hab, bring ich Mama ins Grab.
    Das sangen die kleinen Mädchen manchmal, wenn sie auf dem Kirchhof Seil sprangen. Meine Mama war ja schon tot, also konnte mir in dieser Hinsicht nicht viel passieren. Und wer weiß? Vielleicht habe ich ja deshalb beim lieben Gott etwas gut.
    »Bis ich wiederkomme?«, wiederholte Vater schließlich, und ein Seufzer entrang sich ihm. »Das dürfte wohl nicht so bald sein. Nein … ganz bestimmt nicht.«

    An der Wand neben dem vergitterten Fenster hing ein Kalender von einem Gemüsehändler aus Hinley, mit König Georg und Königin Elisabeth drauf, jeder in einem eigenen ovalen Rahmen und so gekleidet, als hätte sie der Fotograf zufällig auf dem Weg zum Kostümball im Schloss eines bayerischen Prinzen angetroffen.
    Vater warf einen flüchtigen Blick auf den Kalender und fing an, ruhelos auf und ab zu gehen, wobei er tunlichst vermied, mich anzusehen. Ja, er schien mich ganz vergessen zu haben und summte nur unregelmäßig vor sich hin, ab und zu unterbrochen von entrüstetem Schniefen, als verteidigte er sich vor einem unsichtbaren Tribunal.
    »Ich habe soeben gestanden«, verkündete ich.
    »Ja, ja.« Vater ging weiter summend und brummelnd auf und ab.
    »Ich habe Inspektor Hewitt gestanden, dass ich Horace Bonepenny umgebracht habe.«
    Vater blieb so unvermittelt stehen, als wäre er in ein Schwert gelaufen. Er drehte sich um und heftete den gefürchteten starren Blick aus seinen blauen Augen auf mich, dessen er sich im Umgang mit seinen Töchtern oft und gern bediente.
    »Was weißt du über Horace Bonepenny?«, fragte er in eisigem Ton.
    »Ehrlich gesagt: so einiges.«
    Dann sank er auf einmal in sich zusammen, ganz plötzlich, als hätte ihm jemand die Luft abgelassen. Eben hatte er noch die Wangen aufgepustet wie die Darstellungen der Winde auf mittelalterlichen Weltkarten, im nächsten Augenblick war sein Gesicht hager und eingefallen wie das eines Pferdehändlers. Er setzte sich auf den Rand der Pritsche und stützte sich mit einer Hand ab.
    »Ich habe euren Streit mit angehört«, gestand ich. »Tut mir leid, dass ich an der Tür gelauscht habe. Es war keine Absicht, aber ich habe mitten in der Nacht Stimmen gehört und bin
nach unten gegangen. Ich weiß, dass er dich erpressen wollte … ich habe euch in deinem Arbeitszimmer streiten gehört. Darum habe ich Inspektor Hewitt erzählt, dass ich ihn umgebracht habe.«
    Diesmal drang ich zu Vater durch.
    »Ihn umgebracht? Was soll das heißen, du hast ihn umgebracht?«
    »Ich wollte nicht, dass sie rauskriegen, dass du es warst.«
    »Ich?« Vater sprang auf wie von der Tarantel gestochen. »Gütiger Himmel! Wie kommst du auf die Idee, ich hätte jemanden umgebracht?«
    »Ist schon gut«, beschwichtigte ich ihn. »Der Bursche hat es bestimmt verdient. Ich erzähl es nicht weiter, versprochen.«
    Ich legte die rechte Hand aufs Herz und hob die Linke zum Schwur. Vater sah mich so ungläubig an, als wäre ich ein glitschiges Ungeheuer, das einem Gemälde von Hieronymus Bosch entsprungen ist.
    »Bitte glaub mir, Flavia«, sagte er, »so gern ich es auch

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