Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
Mann auf dem Dach übermittelte.
»So halten, Harry! Zurück … zurück … zurück! Nein … jetzt ist es wieder weg. Wieder in die andere Richtung …«
Im selben Augenblick kam Vater ins Zimmer, um, wie ich glaube, den Vorgang mit seiner Verachtung zu überschütten, als sein Blick plötzlich auf dem verschneiten Bildschirm hängen blieb.
»Halt!«, rief er, und sein Befehl wurde in immer leiser werdenden
Echos von den Technikern weitergegeben, zum Fenster hinaus und vom Rasen zu den Zinnen hoch.
»Bei George«, keuchte Vater. »Das ist die 1856er British Guyana. Ein Stück zurück!« Er fuchtelte wild mit den Armen.
Abermals wurden seine Anweisungen mittels der verbalen Eimerkette weitergegeben, und das Bild wurde tatsächlich ein bisschen schärfer.
»Das hab ich mir gleich gedacht«, sagte Vater. »Diese Marke würde ich überall erkennen. Sie wird versteigert! Stellen Sie bitte lauter.«
Wie es das Schicksal wollte, strahlte die BBC gerade eine Sendung zum Thema Briefmarkensammeln aus, und schon hatte sich Vater einen Sessel herangezogen, die Brille mit dem Nickelgestell aufgesetzt und das strikte Verbot ausgesprochen, ihn in welcher Hinsicht auch immer zu stören.
»Still, Felicity!«, fuhr er seine Schwester an, als sie dazwischenreden wollte. »Das hier ist äußerst wichtig.«
So kam es, dass Vater dem Einzug des einäugigen Untiers in seinem Salon schließlich doch zustimmte.
Zumindest fürs Erste.
Und jetzt, als Ruperts Funeralien (ich hatte gehört, wie Daffy dieses Wort gegenüber Mrs Mullet benutzt hatte) näher rückten, verschwand Dogger kurz in der Eingangshalle, um den Vikar einzulassen, der, auch wenn er die Beerdigung nicht persönlich durchführte, trotzdem die professionelle Notwendigkeit verspürte, jedem Einzelnen von uns beim Eintreten feierlich die Hände zu kneten.
»Ach du meine Güte«, sagte er, »wenn man bedenkt, dass der Ärmste hier bei uns in Bishop’s Lacey verschieden ist …«
Kaum hatte er auf dem Sofa Platz genommen, schellte es noch einmal, und kurz darauf kam Dogger mit einem unerwarteten Gast zurück.
»Mr Dieter Schrantz«, verkündete er von der Tür aus und schlüpfte damit mühelos in seine Butlerrolle.
Feely sprang auf und schwebte durch den Salon, um Dieter mit ausgestreckten Armen und abwärtsgewandten Handflächen zu begrüßen, wodurch sie einer Schlafwandlerin glich.
Die kleine Giftnudel strahlte richtig von innen heraus!
Ich hoffte inständig, dass sie über den Teppich stolpern würde.
»Zieh doch bitte die Vorhänge zu, Dogger«, sagte Vater. Dogger tat wie geheißen, und die letzte Helligkeit wich aus dem Zimmer, worauf wir alle im Dämmerlicht saßen.
Auf dem kleinen Bildschirm schob sich nun, wie bereits erwähnt, das nasse Pflaster des Portland Place vor dem Rundfunkhaus ins Bild, während die verhaltene, feierliche Stimme des BBC-Sprechers fortfuhr (es mochte Richard Dimpleby gewesen sein, vielleicht aber auch ein anderer Sprecher, der sich ähnlich anhörte):
»Und jetzt kommen, aus jedem Winkel des Königreichs, die Kinder. Sie wurden heute von ihren Müttern und Vätern hergebracht, von ihren Kindermädchen und Gouvernanten, und einige sogar, könnte ich mir denken, von ihren Großeltern.
Stundenlang haben sie schon hier am Portland Place im Regen ausgeharrt, Jung und Alt, und alle warten sie darauf, dem Mann, der sie einst gerührt und verzaubert hat, einen letzten, traurigen Abschiedsgruß zu entbieten, Rupert Porson, dem Genie, das sie jeden Nachmittag um vier wie der Rattenfänger von Hameln aus ihrem Alltagsleben entführt und mit in sein magisches Königreich genommen hat …«
Genie! Das fand ich dann doch ein bisschen übertrieben. Rupert war ein brillanter Schausteller gewesen, das auf jeden Fall, aber ein Genie? Der Mann war ein Windhund gewesen, ein Schürzenjäger, ein Flegel, ein Grobian.
Konnte er nicht trotzdem ein Genie sein? Doch. Begabung und Moral haben nichts miteinander zu tun. Nehmen wir nur mal mich als Beispiel: Viele Leute halten mich für ungewöhnlich klug, trotzdem ist mein Hirn öfter als mir lieb ist damit
beschäftigt, neue, spannende Methoden auszuhecken, wie ich meinen Feinden einen jähen und zugleich Höllenqualen verursachenden Tod bereiten könnte.
Ich bin davon überzeugt, dass es Gifte überhaupt nur darum gibt, damit jene sie entdecken und für ihre Zwecke nutzbar machen, die das Köpfchen, aber nicht unbedingt die Körperkraft besitzen, um …
Das Gift! Die manipulierten Pralinen
Weitere Kostenlose Bücher