Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
hatte ich ja ganz vergessen!
Ob Feely sie schon gegessen hatte? Eher unwahrscheinlich, sonst würde sie hier nicht derart aufreizend gelassen dasitzen, während Dieter, wie ein Pferdezüchter, der sein Fohlen über den Koppelzaun hinweg bewundert, den Blick anerkennend über ihre vorteilhafteren Eigenschaften wandern ließ.
Der Schwefelwasserstoff, den ich in das Konfekt gespritzt hatte, reichte keinesfalls aus, um jemanden umzubringen. Sobald er in den Körper gelangte - vorausgesetzt, jemand war dumm genug, ihn hinunterzuschlucken - würde er alsbald zu Hydrogensulfat werden, in welcher Form er letztlich mit dem Urin ausgeschieden wurde.
War das, was ich getan hatte, denn wirklich ein Verbrechen? Dimethylsulfid wurde literweise in mit Aromastoffen versehene Süßigkeiten gerührt, und bis jetzt war dafür, jedenfalls nach meiner Kenntnis, noch niemand gehängt worden.
Als sich meine Augen an das Zwielicht im Salon gewöhnt hatten, konnte ich einen kurzen Blick in die Runde werfen. Ich betrachtete die von der flackernden Mattscheibe angestrahlten Gesichter. Mrs Mullet? Nein, Feely hätte ihre Pralinen niemals an Mrs Mullet vergeudet. Vater und Dogger kamen auch nicht in Betracht, ebenso wenig wie der Vikar.
Es hätte natürlich sein können, dass Tante Felicity die Pralinen verschlungen hatte, aber dann hätte ihr Zornestrompeten sogar Sabus Elefanten ängstlich in den Bergen Zuflucht suchen lassen.
Demnach befanden sich die Pralinen noch in Feelys Zimmer. Wenn ich mich im Halbdunkel unbemerkt hinausschleichen …
»Flavia …«, Vater deutete vage auf den Fernseher, »ich weiß, dass es für dich ganz besonders schwer sein muss. Wenn du möchtest, kannst du gerne hinausgehen.«
Gerettet! Nix wie hin zu den vergifteten Pralinen!
Aber halt: Was würde Dieter von mir denken, wenn ich mich jetzt davonstahl? Die anderen waren mir herzlich egal … na ja, der Vikar vielleicht nicht so ganz. Aber die Meinung eines Mannes, der buchstäblich in Flammen vom Himmel heruntergeschossen worden war …
»Danke schön, Vater«, sagte ich, »aber ich glaube, ich schaff’s.«
Das war eine tapfere Durchhalteantwort, wie er sie erwartete, und ich hatte mich nicht geirrt. Nachdem er ein angemessenes elterliches Gebrummel von sich gegeben hatte, ließ er sich leise seufzend wieder in seinen Sessel sinken.
Aus den Tiefen des anderen Sessels in der Ecke drang eine Art Quaken, das nur von Daffy stammen konnte.
Der Bildschirm zeigte inzwischen das Innere des Funkhauses, ein großes Studio, wo sich die Blumengebinde bis unter die Decke türmten, und inmitten der Blumen lag Rupert - zumindest stand sein Sarg dort: ein prächtig verziertes Exemplar, in dessen auf Hochglanz polierter Oberfläche sich die Fernsehscheinwerfer und die am nächsten stehenden Trauergäste spiegelten. Das Blitzen der versilberten Griffe erhellte sogar unseren verdunkelten Salon.
Jetzt zeigte eine andere Kamera ein kleines Mädchen, das sich der Bahre näherte … zögerlich … vorsichtig … bis sie von einer verlegenen Mutter mehrfach vorwärtsgeschubst wurde. Das Kind wischte sich eine Träne von der Wange, dann legte es einen Wiesenblumenkranz auf das Geländer vor dem Sarg.
Die Szene wechselte zu einer Nahaufnahme vom Gesicht einer schluchzenden Frau.
Dann trat ein Mann in Beerdigungsschwarz vor. Er pflückte drei Rosen aus dem Berg von Blumengebinden und teilte sie anmutig aus. Eine Rose gab er einem Kind, eine der Mutter, die dritte der Schluchzenden. Anschließend wandte er sich von der Kamera ab, zog ein großes weißes Taschentuch hervor und trompete mit kummervoller Entschiedenheit hinein.
Das war Mutt Wilmott! Er inszenierte diese ganze Vorstellung! Wie er es versprochen hatte. Mutt Wilmott - da stand er, und die ganze Welt sollte sehen, dass er ein gebrochener Mann war.
Noch im Augenblick landesweiter Trauer war Mutt auf seinem Posten, um der Nation die unvergesslichen Bilder zu liefern, nach denen dieser Todesfall verlangte. Um ein Haar wäre ich aufgesprungen und hätte Beifall geklatscht. Ich wusste, dass die Zuschauer dieser Trauerzeremonie, seien sie nun vor Ort oder vor dem Fernseher, noch darüber reden würden, wenn sie eines Tages zahnlos auf einer Bank im Vorgarten ihres Häuschens saßen und ihrerseits auf den Tod warteten.
»Mutt Wilmott« , fuhr die Dimbleby-Stimme fort, »der Produzent von Rupert Porsons Das magische Königreich. Uns wurde gesagt, er sei am Boden zerstört gewesen, als ihn die Nachricht vom Tod des
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