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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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schallend, als müsste er wie ein Zugschaffner die nächste Station ausrufen.
    Ich nickte ihm kurz zu, um ihm zu demonstrieren, dass ich zuhörte, dann ging ich wieder meinen Gedanken nach. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja - bei Oliver Twist.
    Bei einem Ausflug nach London hatte uns Daffy einmal aus einem Taxi heraus die Stelle in Bloomsbury gezeigt, wo früher Olivers Findelhaus gestanden hatte. Obwohl sich dort heutzutage ein recht ansehnlicher und begrünter Platz befand, konnte ich mir mühelos vorstellen, wie ich die längst zu Staub zerfallenen, aber trotzdem schneebedeckten Stufen hochstapfte, den schweren Türklopfer bediente und um Unterschlupf bat. Wenn ich dem Vorsteher mein Quasi-Waisenleben auf Buckshaw mit Feely und Daffy schilderte, würde man mich mit offenen Armen aufnehmen.
    London! Verflixt und zugenäht! Das hatte ich ja ganz vergessen. Heute hatte ich doch mit Vater in die Stadt fahren sollen, um mir eine Zahnspange machen zu lassen! Kein Wunder, dass er sauer war. Während ich mich auf dem Friedhof an meinem eigenen Tod ergötzt und munter mit Nialla und dem Vikar geplaudert hatte, war Vater garantiert wie ein Zerstörer unter zu viel Dampf brodelnd und fauchend im Haus herumgegangen. Mich beschlich die böse Ahnung, dass die Sache noch nicht ganz ausgestanden war.
    Nun war es allerdings zu spät. Beethoven schleppte sich - endlich! - die letzten Meter auf seinem beschwerlichen Weg zum bitteren Ende dahin wie Thomas Grays Ackermann hinter
dem Pflug und überließ die Welt der Dunkelheit und mir - und Vater.
    »Bleibst du bitte noch kurz hier, Flavia?«, sagte er und schaltete den Radioapparat mit unheilverkündendem Klick aus.
    Feely und Daffy erhoben sich von ihren Plätzen und gingen wortlos hinaus, blieben aber noch lange genug in der Tür stehen, um mir ihre patentierten »Jetzt geht’s dir an den Kragen!«-Grimassen zu schneiden.
    »Herrgott noch mal, Flavia«, sagte Vater, als sie draußen waren, »du hast doch genauso gut wie ich gewusst, dass wir heute Nachmittag einen Termin für deine Zähne hatten.«
    Für meine Zähne! Bei ihm klang es ja so, als würde mir die Kasse ein komplettes Gipsgebiss spendieren.
    Aber recht hatte er. Ich hatte meine alte Zahnspange erst neulich ruiniert, weil ich sie als Dietrich zum Knacken eines Türschlosses missbraucht hatte. Natürlich hatte Vater gegrollt, aber er hatte gleich einen Termin ausgemacht, der mich in Fesseln und Ketten nach London führen würde, wo man mich im dritten Stock eines Eisenwarenhändlers in der Farrington Street wie Boris Karloff auf ein Brett schnallen, mir diverse Metallvorrichtungen in den Mund zwängen und sie anschließend am Zahnfleisch festschrauben und -nieten würde.
    »Hab ich vergessen«, sagte ich. »Tut mir leid. Du hättest mich beim Frühstück noch mal dran erinnern sollen.«
    Vater blinzelte. So eine energische - beziehungsweise so tadellos parierende - Antwort hatte er nicht erwartet. Obwohl er Berufsoffizier gewesen war, gab er sich, wenn es um taktische Manöver in häuslichen Belangen ging, meistens so hilflos wie ein Säugling.
    »Wir können ja morgen hinfahren«, legte ich strahlend nach.
    Auch wenn es auf den ersten Blick anders scheinen mag, war das ein wahrer Geniestreich. Vater verabscheute das Telefon wie der Teufel das Weihwasser. Für ihn war das Ding - »das Instrument«, wie er es nannte - nicht nur ein hinterhältiger
Verrat von Seiten des Postamtes, sondern zugleich ein offener Angriff auf die Traditionen der Königlichen Post im Allgemeinen und den Gebrauch von Briefmarken im Besonderen. Dementsprechend weigerte er sich strikt, das Telefon außer im allergrößten Notfall zu benutzen. Ich wusste, dass er Wochen, wenn nicht Monate brauchen würde, um die Angelegenheit wieder in die Hand zu nehmen. Selbst wenn er dem Zahnarzt einen Brief schrieb, würde es mit dem ganzen erforderlichen Hin und Her eine Weile dauern, bis es so weit war. Bis dahin war ich aus dem Schneider.
    »Vergiss nicht«, setzte Vater hinzu, »dass morgen deine Tante Felicity kommt.«
    Meine Zuversicht versank in trüben Tiefen wie Professor Picards Tiefseetauchgerät.
    Jeden Sommer brach Vaters Schwester, die normalerweise in Hampstead wohnte, wie eine biblische Plage über uns herein. Zwar hat sie keine eigenen Kinder (vielleicht deshalb, weil sie nie geheiratet hatte), dafür hegte sie ziemlich erschreckende Ansichten über ordentliche Kindererziehung: Ansichten, die sie niemals müde wurde, lautstark zu

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