Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
Vom Netzwerk:
Zwielicht.
    Als sich meine Augen an das Kerzenlicht gewöhnt hatten, sah ich, dass Mrs Ingleby eine weiße Baumwollbluse mit kurzen Puffärmeln und tiefem Bauernmädchenausschnitt trug. Mit den rabenschwarzen Haaren und dem bunten Dirndlrock wäre sie ohne Weiteres als wahrsagende Zigeunerin durchgegangen.
    »Mein Robin ist nicht mehr«, sagte sie nun.
    Diese schlichte Feststellung brach mir fast das Herz. Wie alle anderen Einwohner von Bishop’s Lacey hatte ich angenommen, dass Grace Ingleby in ihrer eigenen privaten, abgeschiedenen Welt lebte: einer Welt, in der Robin nach wie vor auf dem staubigen Hof spielte, aufgebrachte Hennen von
einem Zaun zum anderen jagte und ab und zu in die Küche gerannt kam, um etwas Süßes zu erbetteln.
    Aber dem war nicht so. Mrs Ingleby hatte wie ich vor dem kleinen Grabstein auf dem Friedhof von St. Tankred gestanden, dem Grabstein mit der knappen Inschrift: Robin Tennyson Ingleby, 1939-1945. Er ruhet in Gottes Schoß.
    »Mein Robin ist nicht mehr«, sagte sie noch einmal, aber diesmal klang es wie ein Stöhnen.
    »Ja«, erwiderte ich. »Ich weiß.«
    Staubkörnchen trieben wie kleine Planeten in den wenigen bleistiftdicken Sonnenstrahlen, die ins Zwielicht der kleinen Kammer vordrangen. Ich setzte mich ins Stroh.
    Im selben Augenblick trippelte eine Taube aus ihrem Nest und aus dem kleinen Bogenfenster hinaus. Mir wäre fast das Herz stehengeblieben. Ich war davon ausgegangen, dass hier längst keine Tauben mehr nisteten, und hätte mich um ein Haar auf das dämliche Vieh draufgesetzt.
    »Ich bin mit ihm ans Meer gefahren«, sprach Grace ohne auf den Vogel zu achten weiter und streichelte das Spielzeugsegelboot zärtlich. »Robin liebte das Meer.«
    Ich zog die Knie bis ans Kinn und schlang die Arme darum.
    »Er hat dort im Sand gespielt. Eine Burg gebaut.«
    Dann war es lange still und ich merkte, dass sie ganz woanders war.
    »Haben Sie am Strand auch Eis gegessen?«, fragte ich, als wäre das die wichtigste Frage auf der ganzen Welt. Aber etwas anderes wollte mir nicht einfallen.
    »Eis?« Sie nickte. »Ja, das gab es dort in Pappbechern … in kleinen, spitzen Pappbechern. Wir wollten Vanille … wir mochten beide am liebsten Vanille, Robin und ich. Eigentlich komisch …«
    Sie seufzte. »Das Vanilleeis schmeckte immer ein bisschen nach Schokolade … als wäre der Portionierer nicht richtig sauber gewesen.«

    Ich nickte wissend.
    »So was gibt’s.«
    Sie streckte abermals die Hand nach dem Segelboot aus, strich über den glatten bemalten Rumpf. Dann blies sie die Kerze aus.
    Wir blieben noch eine Weile schweigend in der sonnengetüpfelten Backsteinhöhle sitzen. So ähnlich muss es im Mutterleib sein, dachte ich.
    Warm. Und man wartet darauf, dass etwas geschieht.
    »Was führt dich eigentlich her?«, fragte Mrs Ingleby schließlich. Mir fiel auf, dass sie die Worte nicht mehr so undeutlich aussprach wie zuvor.
    »Der Vikar hat Ihnen zwei Leute geschickt, die auf dem Ablassfeld zelten sollen. Mich hat er gebeten, ihnen den Weg zu zeigen.«
    Sie packte mich am Arm.
    »Weiß Gordon davon?«
    »Glaub schon«, antwortete ich. »Er hat dem Vikar gesagt, dass es in Ordnung geht, wenn sie am unteren Ende des Feldwegs kampieren.«
    »Am unteren Ende des Feldwegs.« Sie atmete auf. »Ja, das müsste eigentlich gehen.«
    »Die beiden betreiben ein Wander-Marionettentheater. Porsons Puppenbühne. Sie geben am Samstag eine Vorstellung. Der Vikar hat sie darum gebeten. Ihr Auto ist kaputtgegangen, wissen Sie, und …«
    Mir kam eine Idee.
    »Kommen Sie doch auch vorbei«, sagte ich. »Das ganze Dorf kommt hin. Sie können neben mir sitzen und …«
    Mrs Ingleby starrte mich entsetzt an.
    »Nein! Ausgeschlossen! Das geht auf gar keinen Fall.«
    »Vielleicht können Sie ja zusammen mit Ihrem Mann kommen und …«
    »Nein!«

    Sie rappelte sich hoch und wirbelte eine dicke Wolke aus Staub und Strohschnipseln auf. Einen Augenblick lang standen wir uns reglos gegenüber wie zwei Figürchen in einer Schneekugel.
    »Geh jetzt lieber«, sagte Mrs Ingleby unvermittelt mit belegter Stimme. »Bitte.«
    Wortlos tastete ich mich zur Leiter vor. Vom Staub tränten mir die Augen. Erstaunlich mühelos schwang ich mich auf die oberste Sprosse und machte mich an den langen Abstieg.
    Ich konnte nicht umhin, dabei an Jack und die Bohnenranke zu denken.
     
    Der Hof sah verlassen aus. Dieter war mit Rupert und Nialla unten am Fluss, wo sie inzwischen bestimmt ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher