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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Wände. Es sah aus, als hätte ich ein Sieb betreten, in dem ein Riese seine Suppenknochen abseihte.
    Hier drinnen war das heulende Geräusch sogar noch lauter, ein Strudel von Tönen, die von den Wänden verstärkt wurden und deren Mittelpunkt ich selbst zu sein schien. Selbst wenn ich mich getraut hätte zu rufen, ich hätte den Lärm nicht übertönen können.
    Mitten in dem Raum stand ein Gerüst, das sich ähnlich wie eine Bibliotheksleiter auf einem Holzsockel im Kreis an der Wand entlangschieben ließ. Sicher war es früher von den
Züchtern benutzt worden, um einen direkten Zugang zu den todgeweihten Vögeln zu haben.
    Das Ding ächzte furchteinflößend, als ich auf die unterste Sprosse stieg.
    Sprosse um Sprosse kletterte ich weiter, renkte mir bei dem großen Abstand fast Arme und Beine aus und klammerte mich mit allen Gliedern, die sich gerade nicht bewegen mussten, verzweifelt fest. Nach unten schaute ich nur ein einziges Mal, und da wurde mir schwindelig.
    Je höher ich kletterte, desto lauter wurde das Geheul, dessen Echos sich jetzt zu einem Chor vereinten, einem wilden, jaulenden Klagegesang.
    Über mir tat sich eine bogenförmige Nische auf, die größer als die übrigen war. Als ich mich auf die Zehenspitzen stellte und mich mit den Fingerspitzen an dem gemauerten Rand festhielt, konnte ich mich so weit hochziehen, dass meine Augen sich auf gleicher Höhe mit dem Boden der Wandvertiefung befanden.
    Ich erblickte eine kniende Frau, die mir den Rücken zuwandte. Sie sang ein Lied. Ihre dünne Stimme hallte von der Ziegelwand wider und strudelte um meinen Kopf:
    Robin klein
Ging allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Stehn ihm gut,
Er ist wohlgemut.
Doch die Mutter weinet sehr,
Hat ja keinen Robin mehr …
    Es war Mrs Ingleby!
    Vor ihr brannte auf einer umgedrehten Kiste eine Kerze und mischte ihren rußigen Duft in die ohnehin erstickende Wärme
der kleinen gemauerten Höhle. Rechts neben der Frau stand ein Schwarzweißfoto von einem Kind: Robin, der schelmisch in die Kamera grinste, sein blonder Schopf von längst vergangenen Sommertagen fast weiß gebleicht. Links von ihr lag, und zwar auf der Seite, als wäre es an den Strand gezogen worden, um von Entenmuscheln gesäubert zu werden, ein Spielzeugsegelboot.
    Ich hielt den Atem an. Mrs Ingleby durfte nicht merken, dass ich hier war. Ich wollte ganz langsam wieder hinuntersteigen und …
    Meine Knie fingen an zu zittern. Meine Fingerspitzen fanden kaum noch Halt, und schon rutschten meine Ledersohlen auf den verwitterten Sprossen aus. Als ich mich unbeholfen weiter nach unten schob, nahm Mrs Ingleby ihren Gesang wieder auf, stimmte jedoch ein anderes Lied an und sang diesmal mit einer ganz anderen Stimme - derb, verwegen, wie aus einer rauen Piratenkehle:
    Unsren tapferen Robin, den raubte die See,
Trinkt auf sein Wohl, Kameraden, ohe!
    Es folgte ein grässliches schluchzendes Lachen.
    Ich stellte mich gerade rechtzeitig wieder auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wie sie den Korken aus einer großen durchsichtigen Flasche drehte und rasch einen kräftigen Schluck nahm. Es sah aus wie Gin, und es war deutlich zu erkennen, dass sie schon eine Weile an der Flasche genuckelt hatte.
    Mit einem lang gezogenen, zittrigen Seufzer schob sie die Flasche wieder unter einen Strohhaufen und zündete mit der flackernden Flamme der ersterbenden Kerze eine neue an. Mit ein paar Tropfen Wachs klebte sie die frische Kerze an die Stelle der heruntergebrannten Vorgängerin.
    Kurz darauf stimmte sie ein neues Lied an, dieses Mal in Moll. Sie sang es getragen wie einen Trauergesang, und artikulierte
jedes Wort mit schrecklicher, übertriebener Deutlichkeit:
    Was baumelt dort am Strickelein?
O weh, es ist mein Kindelein
Böses Kindlein ist fortgelaufen,
Tat im Dorf ein Stricklein kaufen.
Ist zum Bäumelein gegangen,
Hat sich daran aufgehangen.
    Ich merkte plötzlich, dass mir die Haare zu Berge standen, wie es sonst nur vorkam, wenn Feely ihren schwarzen Hartgummikamm über ihren Kaschmirpullover zog und ihn dicht über meinen Nacken hielt. Aber wie ich mich noch mühte, möglichst flink und unbemerkt abwärtszuklettern, um mich aus dem Staub machen zu können, sagte Mrs Ingleby: »Komm schon rauf, Flavia. Komm her und nimm an meiner kleinen Totenfeier teil.«
    Totenfeier?, dachte ich. Will ich wirklich in einer Backsteinzelle kauern, neben einer Frau, die bestenfalls beschwipst und schlimmstenfalls eine zu allem fähige Irre ist?
    Ich zog mich hinauf ins

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