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Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag

Titel: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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würde - taktvoll und mahnend zugleich. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen, etwas in der Richtung.
    Aber als er endlich zur Kanzel hochstieg, wirkte der Vikar seltsam verhalten, und das war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass Cynthia mit einem weißbehandschuhten Zeigefinger an dem Holzregal entlangfuhr, in dem die zerrupften Gesang-und Gebetbücher lagen. Im Grunde bezog sich der Vikar mit keinem einzigen Wort auf den Vorfall - bis kurz vor Schluss der Predigt.
    »Angesichts der tragischen Ereignisse des vergangenen Abends«, sagte er mit gedämpfter, getragener Stimme, »hat mich die Polizei gebeten, ihr den Gemeindesaal zur Verfügung zu stellen, bis sie ihre Arbeit dort abgeschlossen hat.
Deswegen servieren wir die üblichen Erfrischungen heute ausnahmsweise im Pfarrhaus. Wer immer von Ihnen sich nach dem Gottesdienst zu uns gesellen möchte, ist herzlich eingeladen. Und nun möge Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist …«
    Einfach so! Keine Betrachtungen über den »Fremden in unserer Mitte« wie damals, als Horace Bonepenny auf Buckshaw ermordet worden war. Kein Nachsinnen über die Unsterblichkeit der Seele … nichts!
    Offen gestanden fühlte ich mich betrogen.
    Leider klappt es nie, zumindest nicht in St. Tankred, sofort nach dem Gottesdienst nach draußen in die Sonne zu springen wie ein Korken aus der Flasche. Man muss jedes Mal noch an der Tür stehen bleiben, dem Vikar die Hand schütteln sowie einen Kommentar zu seiner Predigt, dem Wetter oder der Ernte abgeben.
    Vater wählte die Predigt, Daffy und Feely entschieden sich für das Wetter - blöde Ziegen! -, wobei Daffy die bemerkenswerte Klarheit der Luft und Feely die erstaunliche Wärme kommentierte. Damit blieb mir keine große Auswahl mehr, und der Vikar drückte mir bereits die Hand.
    »Wie geht’s Meg?«, erkundigte ich mich. Ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht mehr an Meg gedacht; die Frage kam mir ganz überraschend in den Sinn.
    Wurde der Vikar daraufhin eine Nuance blasser oder bildete ich mir das nur ein?
    Er schaute sich blitzschnell nach allen Seiten um. Cynthia bahnte sich zwischen den Grabsteinen ihren Weg zum Pfarrhaus.
    »Das darf ich dir leider nicht sagen«, antwortete er. »Weißt du, sie war …«
    »Herr Vikar! Ich hätte da noch ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen!«
    Das war Bunny Spirling. Bunny gehörte zu den Spirlings von
Nautilus Old Hall, die, wie Vater einmal bemerkt hatte, wegen ihrer Pferde völlig auf den Hund gekommen waren.
    Weil Bunny wie ein großes »D« gebaut war, kam niemand an ihm vorbei, und der Vikar wurde zwischen Bunnys Wampe und dem gotischen Türrahmen eingeklemmt. Ich nahm an, dass Tante Felicity und Dogger noch im Vorraum der Kirche festsaßen, sich zusammen mit vielen anderen Gottesdienstbesuchern wie die Besatzung eines sinkenden U-Boots vor der Ausstiegsluke drängten.
    Als Bunny nun anhob, sein Hühnchen mit dem Vikar zu rupfen (es ging um den Kirchenzehnten und den untragbaren Zustand der gepolsterten Kniebänke), ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf.
    »Oje«, sagte ich zu Vater, »sieht ganz so aus, als käme der Vikar nicht so schnell wieder los. Ich lauf mal eben zum Pfarrhaus vor. Vielleicht kann ich beim Tischdecken helfen.«
    Kein Vater auf der ganzen Welt brächte es übers Herz, sich einem derart wohltätigen Kind zu widersetzen, und schon war ich wie ein Feldhase auf und davon.
    »Guten Morgen!«, rief ich Cynthia zu, als ich sie überholte.
    Ich sprang mit einem Satz über den Zaun und rannte zur Vorderseite des Pfarrhauses. Die Tür stand auf, und ich hörte Stimmen aus der Küche, die weiter hinten im Haus lag. Die Frauengesellschaft, befand ich. Einige Mitglieder hatten den Gottesdienst bestimmt vorzeitig verlassen, um schon mal den Teekessel aufzusetzen.
    Mit gespitzten Ohren stand ich im dämmrigen Hausflur. Viel Zeit blieb mir nicht, und ich durfte mich auf keinen Fall beim Herumschnüffeln erwischen lassen. Mit einem letzten Blick auf den mit braun glänzendem Linoleum ausgelegten Flur betrat ich das Arbeitszimmer des Vikars und schloss die Tür hinter mir.
    Natürlich war Meg längst weg, aber die Häkeldecke, mit der sie der Vikar zugedeckt hatte, lag noch in einem unordentlichen
Haufen auf dem Rosshaarsofa, als hätte Meg sie eben erst abgeschüttelt, um aufzustehen und das Zimmer zu verlassen, wobei sie einen - um es wohlwollend auszudrücken - waldigen Duft zurückgelassen hatte: einen Geruch nach feuchtem Laub, Erde und - nennen wir es: mangelnder

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