Fleckenteufel (German Edition)
freundlich abwechselnd zu dem Jungen und dann zu den vor Schreck starren Fiedlers: «Ein Schaf. Das ist ein Schaf.» Endlich nimmt ein Betreuer den Jungen an der Hand und zerrt ihn unter lautem Gemähe wieder nach hinten. Plopp. Daneben. Plötzlich lautes Gebrüll: Das entlaufene Mädchen ist wieder da. Pitschnass steht sie mit ihrem ebenfalls pitschnassen Betreuer an der Tür und versucht sofort wieder, an den Lichtschalter zu kommen. Pastor Schmidt steht auf, weiß aber nicht, was er machen soll. Er weiß nur, dass das alles hier keine gute Idee war. Der Chefbehindertenbetreuer steht ebenfalls auf: «So, wir müssen dann mal wieder.»
Zum Abschied schneiden die Behinderten Fratzen. Wenn ich es richtig verstehe, sind sie froh, dass es endlich wieder nach Hause geht. Und ich bin froh, dass ich endlich wieder ins Zelt kann, Bukowski lesen. Plötzlich tun mir die Behinderten leid. Ich tu mir aber auch leid, und Pastor Schmidt und die Erwachsenen und überhaupt alle tun mir leid. Wieso ist das gerade eben so entsetzlich schief und krumm gelaufen, wenn wir doch eine christliche Gemeinschaft sind? Und wieso habe ich die ganze Zeit nur verkrampft auf meinem Stuhl gehockt und mir nichts mehr gewünscht, als dass die endlich wieder abhauen? Da kann doch was nicht stimmen mit mir. Meine Güte, die waren doch gerade mal drei Stunden bei uns, da hätte ich mir doch etwas Mühe geben können. Wenigstens ein freundliches Gesicht machen, was Nettes sagen, irgendwas, da hätte ich doch auch selber viel mehr von gehabt. Ach je, ich hab echt noch viel zu lernen.
Lasst uns froh und munter sein.
REISE, REISE!
Peter Edam: Was macht einen Tag zu einem guten Tag? Was macht beispielsweise diesen Mittwoch, den 10. August, den sechsten Tag unserer Freizeit, zu einem guten Tag? Zusammenfassung: Gott hat an jedem Tag etwas vor mit uns. Er will an uns etwas tun. Er will mit uns etwas tun. Wenn wir Gelegenheit hatten, anderen von Jesus zu erzählen, dann ist der Tag wertvoll. Der Tag ist umso besser, je mehr wir uns auf Gott einstellen. Wie kann ich mir am Morgen sicher sein, dass es ein guter Tag wird? Man sollte vermeiden zu sündigen. Gott kann alles.
Die Kackasitzung ergibt in etwa das gleiche Ergebnis wie gestern: zehn bis zwölf Zentimeter, zirka 100 Gramm. Dabei ist doch mindestens ein Pfund dazugekommen. Wie viel Prozent der festen Nahrung werden eigentlich zu Kot? 60 %? 50 %? 40 %? 25 %? Und der Rest? Wird der durch die Atemluft ausgeschieden, verwandelt er sich in Restwärme, löst er sich einfach auf? Keine Ahnung, wirklich nicht die geringste Ahnung. Ich weiß auch nicht, warum es Ebbe und Flut gibt und warum an dem einen Meer, am anderen aber nicht. Vergessen. Wann wer wo untergeht und was um was kreist und aus welchen Gründen. Kann schon sein, dass ich’s mal wusste, bestimmt sogar, jetzt aber eben nicht mehr. An manchen Tagen bringen mich meine Informationslücken schier um den Verstand. Das mit Ebbe und Flut ist in Wahrheit kackegal, braucht man eh nicht, und falls doch mal, steht’s im Lexikon. Was ich benötige, ist Spezialwissen, spezielle Thorsten-Bruhn-Informationen, ein nur für mich zugeschnittenes Wissenspaket. Manchmal bete ich zum lieben Gott, dass er mir die entscheidenden Fakten quasi über Nacht zukommen lässt. Schon klar, warum die meisten Wissenschaftler fromm sind: Sie wissen tausendmal mehr als ich oder Pastor Schmidt, aber selbst wenn sie zwanzigtausendmal mehr wüssten, brächte ihnen dieser Informationsvorsprung nichts, jedenfalls nichts Entscheidendes. Da muss man doch kirre werden. Gegenbeispiel Oma: Sie weiß praktisch nichts. Nach der Volksschule hat sie gleich geheiratet und nie einen Beruf erlernt. Opa ist früh gestorben, und seither ist Oma mit nur wenigen Basisinformationen durchs Leben gekommen: «Vertrau auf Gott, verlier nie den Mut, hab Sonne im Herzen, und alles wird gut.» Dieser Spruch hängt neben einer Jesusschnitzerei über ihrem Bett. Echt wenig, aber es hat dicke gereicht. Eingebrocktes schmeckt am besten, wenn man vorher das Gebiss rausnimmt. Je weniger man weiß, desto glücklicher ist man.
Noch Fragen? Manchmal wünschte ich, ich wäre wie Oma. Bin ich aber nicht. Ich bin auch nicht wie meine Mutter oder mein Vater oder meine Schwester oder mein Opaomatanteonkel. Eigentlich bin ich wie niemand, aber das finde ich nicht gut. Im Gegenteil, ich wäre gern wie irgendwer, damit ich mich nicht immer so allein auf der Welt fühle. Ach, scheißegal, vielleicht ergibt es
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