Fledermaeuse und andere Leute
noch jemand eine Frage?«
»Nee«, sagt Jules Oma bestimmt, und ich füge hinzu: »Sie kennen doch sicher den Witz: ›… Wir sind auf dem richtigen Weg, junge Frau, meine Beine schlafen bereits …‹« Die Lehrerin hat Humor, einige Eltern nicht. Trotzdem denken bestimmt alle: Ist denn nichtbald Feierabend? Man merkt es an der zunehmenden Unruhe und Unaufmerksamkeit!
Nach zwei Stunden werden wir endlich entlassen. Im Gänsemarsch geht es an der Lehrerin vorbei. Jeder stellt noch eine ganz persönliche Frage: Kommt das Kind denn gut mit? Ja, aber verspielt ist es! Verträumt auch! Zu lebendig. Seine Rechtschreibung könnte besser sein. Rechnen solala! Aber sonst sind es alles prima Kinder! Der Unterricht läuft auch prima, und die Lehrerin ist ebenfalls prima. Aller Unsinn, den sie verzapfen, wird in die Schuhe der Eltern geschoben. Die verlassen nun mit viel Bedrückendem an den Füßen das Schulgebäude. Nur Jules Oma und ich verspüren davon nichts. »Schön, wenn man bloß die Großmutter ist«, sage ich fröhlich, »dann hat man nur Freude und kein bisschen Verantwortung!«
»Genau«, bestätigt Jules Oma und hakt sich bei mir unter, »gehen wir noch einen trinken? Ich kenne eine gemütliche kleine Kneipe gleich hier um die Ecke!«
Das erste Zeugnis
N ormalerweise werden Kinder staatlich verordnet in. die Schule eingezogen, sobald ihr Jahrgang dran ist. Max nicht. Max war ein so genanntes Kann-Kind. Das heißt, er musste nicht, aber er konnte in die Schule. Er wurde nämlich erst zwei Monate nach dem Einschulungstermin sechs Jahre alt. Die Überlegungen seiner Mutter – ob muss oder kann – torpedierte er, weil er wollte … schon wegen der Riesenschultüte mit den vielen Süßigkeiten.
Seitdem macht er sich jeden Morgen um sieben Uhr dreißig auf zu seinen Pflichten, seinen Freunden und seinem Schwarm, der jungen Lehrerin. Zurück kommt er meistens ohne Turnbeutel oder Schal, aber voll mit Schulweisheiten, wie den folgenden.
Eines Tages erscheint er sehr spät zum Mittagessen. Meine Tochter hat sich schon große Sorgen gemacht: »Wo bleibst du denn so lange?!«
»Ich musste mich noch von Jonas scheiden lassen!«
Jonas ist sein bester Freund schon seit dem Kindergarten, und es vergeht kaum ein Tag ohne Streit und Wiederversöhnung.
Oder: »Frieda und Anton werden viel schneller alt als wir.
»Ach nee, wie kommst du denn darauf?«
»Na, weil Dackel schon in sieben Wochen ein Jahr alt sind.«
Oder nach der Mathe-Stunde: »Ein Kreis ist eine runde Linie, und die is’ nirgends offen, damit man nicht sehen kann, wo sie eigentlich anfängt, ganz schön gemein, nich?«
Oder empört: »Die Lehrerin hat erzählt, jeden Monat haben wir einen neuen Mond. Dabei sagt die Omi doch immer: ›Du guter alter Mond …‹, wenn er wieder voll ist.« (Die Empörung gilt übrigens der Omi!)
Nach so viel unterhaltsamem Lehrstoff bekommt Max nun sein erstes Zeugnis. Meiner Tochter ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken an eine offizielle Beurteilung ihres lieben Sohnes, doch der ist die Ruhe selbst. Wird schon gut gehen. Schließlich war er doch stets brav und hat immer aufgepasst während des Unterrichts.
Das muss an den Genen liegen. Er ist genauso von sich überzeugt wie seine Mutter, seine Tante und sein Onkel früher, so rundum zufrieden mit seinen Leistungen und optimistisch, auch wenns mal schief geht. Er glaubt an sich. Und ich finde das gut; denn das ist wichtig für ein Kind in der heutigen Zeit, um in unserer Ellenbogengesellschaft bestehen zu können.
Nachdem ich ungeduldig bereits dreimal vergeblich versucht habe, meine Tochter telefonisch zu erreichen, um zu hören, wie es gelaufen ist, werfe ich mich schließlich in meinen neuen Kleinwagen und rase (mal wieder viel zu schnell) nach Köln.
Im Gedränge auf dem Schulhof sehe ich viele fröhliche Kinder, die ihr Zeugnis den Eltern entgegenschwenken, aber auch andere, die von der Last ihrer unzureichenden Beurteilung förmlich niedergedrückt werden.
Dann kommt Max mit seiner Mama auf mich zugerannt. Sein Zeugnis flattert wie eine Trophäe durch die Luft. Ich muss es mir auf der Stelle anschauen.
Nun ist heutzutage das erste Zeugnis eigentlich kein »richtiges« Zeugnis, wie zu meiner Zeit und der meiner Kinder. Es ist schlichtweg eine so genannte Beurteilung in wenigen Sätzen. Unterteilt in zwei Rubriken.
1. Hinweise zum Arbeits- und Sozialverhalten Max ist ein fröhliches Kind. Er verhält sich im Unterricht nicht immer aufmerksam, sondern
Weitere Kostenlose Bücher