Fleisch essen, Tiere lieben
drängendes Problem besser in den Griff: Die Rede ist vom Klimawandel.
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Ein Steak ist (k)ein Geländewagen
Eine Zahl hat sie alle aufgerüttelt: 18 Prozent. So hoch ist laut einem Bericht der Welternährungsorganisation FAO der Anteil der Treibhausgase, die aus der Viehzucht stammen. »Livestock’s Long Shadow« ist der Name der Studie. Kaum war der Bericht im November 2006 veröffentlicht, klingelte bei dem Agrarexperten Henning Steinfeld, dem Leiter der Abteilung Viehzuchtpolitik der FAO, das Telefon. Er musste Interview nach Interview geben, seine 18 Prozent traten eine Welle der Medienberichterstattung los. Al Gore, Jonathan Safran Foer und Abgeordnete des Europäischen Parlaments sprachen darüber, Mark Bittman von der New York Times schrieb sein Buch »Food Matters«.
18 Prozent, das ist eine gewichtige Zahl. Sie setzt sich zusammen aus den Emissionen der Futtermittelproduktion, der sogenannten Tierproduktion (gemeint sind die Verdauungsvorgänge der Tiere) und des Transports der Tiere. Insgesamt sind etwa 30 Prozent der eisfreien Erdoberfläche der Erde direkt oder indirekt in die Viehzucht eingebunden, diese generiert damit mehr Emissionen als der globale Transportverkehr. 37 Prozent der Emissionen sind Methan. ⁶³ Das ist ein brennbares, geruchloses Gas, das den Treibhauseffekt 23 Mal mehr anheizt als CO 2 . Es steigt in die Atmosphäre auf und bildet eine Schicht, unter der sich Wärme staut. Methan ist der Grund, warum Kühe als Klimakiller gelten: Eineinhalb Milliarden Rinder auf der Welt rülpsen beim Verdauen alle 40 Sekunden Methan. ⁶⁴
Wenn Wissenschaftler über die FAO-Studie sprechen, werden Tiere gerne mit Autos verglichen. Forscher der Universität Chicago haben berechnet, dass ein Fünftel weniger Fleischverzehr – bei einer angenommenen Menge von etwa einem halben Pfund pro Tag, die der Durchschnittsamerikaner täglich verdrückt – dem Wechsel von einem normalen Mittelklassewagen zu einem effizienten Hybridauto entsprechen würde. Auch Henning Steinfeld fand den Auto-Vergleich gut: »Wenn eine Kuh drei Jahre alt wird, hat sie grob überschlagen so viel Treibhausgase produziert, als wenn Sie mit einem Mittelklassewagen 90 000 Kilometer fahren. Bei 100 000 Kühen entspricht das einer Strecke von neun Milliarden Kilometern«, rechnete er Spiegel -Journalisten vor.
Der WWF wiederum schreibt, die Abgase einer einzigen Milchkuh seien in etwa so klimaschädlich wie die eines Kleinwagens, der 18 000 Kilometer … Aber genug der Kfz-Vergleiche. Die allgemein verkündete Botschaft wird auch so klar: Kühe, die haltlosen Furzer und Rülpser, zerstören die Erde.
18 Prozent, das ist eine dramatische Zahl. Wer den Bericht liest, kann keinen Zweifel daran haben, dass das Konsequenzen haben muss. Und da man Kühen schlecht beibringen kann, sich die störenden Verdauungsgase zu verkneifen, entwarf der Verfasser der Studie einen radikalen Lösungsvorschlag. Steinfelds Idee: die Tierzucht noch weiter zu intensivieren. Also: Massentierhaltung unter Einsatz von Kraftfutter, Genetik, Wachstumshormonen. Dadurch würden die Tiere schneller fett, und pro Kilogramm Fleisch würden weniger Treibhausgase produziert werden. Aus Sicht des Klimaschützers ist es eine elegante Rech nung: Weniger Emissionen pro Steak ist gleich VW Golf statt Geländewagen. Niemand müsste sein Essverhalten ändern. Der FAO-Experte hält dieses Vorgehen für realistisch – nicht zuletzt der aufstrebenden Schwellenländer wegen. Denn Steinfeld möchte lieber nicht darauf bauen, dass guter Wille und Aufklärung das Drama abwenden werden. »Die aufstrebende chinesische Mittelschicht interessiert es nicht, wenn die Wohlstands länder auf Fleisch verzichten.« Er könnte Recht haben: Laut FAO wird sich der Fleischverzehr bis 2050 verdoppeln.
Das Problematische an Steinfelds Lösungsvorschlag ist, dass er genau in die Schablone passt, nach der unser Nahrungsmittelsystem funktioniert: Gibt es ein Problem, das als dringend erkannt wird, sucht man nach technischen Lösungen und Umwegen, statt die Wurzel selbst zu beseitigen. Sicher, ließe man alle Erwägungen über das Leid der Tiere und langfristiges Denken einmal beiseite, könnte man es so machen: Statt unsere Ernährungsgewohnheiten zu ändern, bräuchten wir dann einfach »effizientere« Tiere. Hühner, die noch mehr Fleisch ansetzen, dickere Schweine, fettere Kühe, allesamt so schnell wie möglich und unter Hormoneinsatz großgezogen, geschlachtet, gegessen. Auch die deutsche
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