Fleisch essen, Tiere lieben
Agrarministerin Ilse Aigner scheint zu meinen, Intensivierung wäre die Lösung. Da Kühe nicht nur Fleisch liefern, sondern auch Milch, gilt das Emissionsproblem auch für Milchprodukte. Futuristische Hochleistungskühe könnten mehr Milch liefern, pro Liter Milch würde eine Kuh weniger Methan ausstoßen, sagt Aigner. Der nächste logische Schritt wäre, Tiere zu züchten, die kein Schmerz- und Stressempfinden haben – wie es der US-Ethiker Adam Shriver bereits vorgeschlagen hat.
Versucht man das Ganze weniger zynisch zu betrachten, gibt es scheinbar nur eine Alternative: Den völligen Verzicht auf Fleisch, Eier, Milch, die vegane Lösung also. Genug Nahrung ist ja da: 40 Prozent der weltweiten Getreideernten werden an Tiere verfüttert, die wir verzehren. Diesen gewaltigen Berg könnte man bei einem sofortigen Fleischverzicht einsparen. Sicherlich wäre das ein großer Schritt. Gelöst wäre das Problem der Emis sionen damit aber trotzdem noch nicht. Zwar gäbe es keine Methan rülpsenden Kühe mehr und keine Seen aus Schweinekot. Getreide- und Sojaanbau würden aber weiter existieren – mit allen zerstörerischen Konsequenzen. Zumal, wie gesagt, vegane Landwirtschaft im großen Stil nicht nachhaltig ist.
Warum nicht auf beides verzichten – die hochgezüchteten Turbotiere ebenso wie den tierlosen Bauernhof? Es gibt eine dritte Lösung, die sich mit Klima und Umwelt verträgt. Und sogar Fleischkonsum, in Maßen, zulässt.
Weiderinder, die nicht in engen Ställen klemmen und Kraftfutter fressen, bewirken einen interessanten Doppeleffekt. Sie produzieren beim Verdauen zwar weiterhin das klimaschädliche Methan – aber gleichzeitig arbeiten sie gegen den Klimawandel. Ein normales Weizenfeld bringt das nicht fertig. Dieser Trick hängt unmittelbar mit der Humusschicht des Bodens zusammen. Humusschichten bilden sich innerhalb von Jahrhunderten aus abgestorbenen Pflanzen- und Tierresten und enthalten deren Nährstoffe. In einer natürlichen Umgebung baut die Humusschicht sich aus totem organischen Material und verwitterndem Gestein auf und wird durch Pflanzen vor Erosion geschützt. In der modernen Landwirtschaft fallen diese Prozesse weg, da die Humusschicht durch die Standardbehandlung eines Ackers mit Dünger, Pestiziden und Maschinen nach und nach zerstört wird. Der Aufbau eines einzigen Zentimeters Humusschicht dauert zwischen 100 und 400 Jahre. Fruchtbarer Boden ist damit eine endliche Ressource und in dieser Hinsicht ebenso kostbar, wenn nicht noch wertvoller als Erdöl.
Gut bewirtschaftete Weiden bauen die Humusschicht des Bodens auf. Und das bedeutet nicht allein mehr Fruchtbarkeit. Eine gute Humusschicht bindet auch Treibhausgase – also auch jene Gase, die Kühe beim Verdauen produzieren. Und das ist ein Effekt, der uns aufhorchen lassen sollte.
Ja, Kühe rülpsen Methan. Aber sie können auch etwas dafür tun, dass das kein Problem mehr ist.
Studie über Studie weist darauf hin, dass eine Kombination aus Beweidung und Ackerbau nicht nur fruchtbare Böden erhalten kann, sondern auch ein großes Potenzial bietet, mit einfachen, längst bekannten Mitteln gegen den Klimawandel zu arbeiten. Eine in der Zeitschrift Science veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass Felder mit mehrjährigen Grassystemen Me than und Kohlenstoff (CO 2 ) aus der Atmosphäre ziehen und im Boden binden können.Böden wie diese nennt man Kohlenstoffsenken. Der Bund Naturschutz weist darauf hin, dass in der Bodenschutzstrategie der EU »Grünland und Wälder in Europa bis zu 100 Mio. Tonnen CO 2 jährlich binden und damit Kohlenstoffsenken sind, wogegen Ackerland als Nettoemittent wirkt und zwischen zehn und 40 Mio. Tonnen Kohlenstoff jährlich freisetzt.« ⁶⁵ Eine USDA-Studie kam zu dem Schluss, dass Grünflächen 54 Prozent mehr Kohlenstoff binden können als Ackerland. ⁶⁶
Wer also ist der größere Klimakiller – die Kuh oder der Weizenstängel? Oder auch: Auf wie viele Scheiben Frühstückstoast muss ich verzichten, um einen SUV fahren zu dürfen?
Eine echte Zukunftsperspektive bietet folgendes Szenario: Würde man die riesigen Flächen, auf denen jetzt Getreide für Tiere angebaut wird, die dieses Futter noch nicht einmal ordentlich verdauen können, in Grasländer umwandeln, wären nicht nur dringende Umweltprobleme gelöst oder zumindest stark abgemildert. Es bliebe sogar genug Ackerland übrig, Getreide für Menschen anzubauen, glaubt Jim Howell vom Savory Institute, das ökologisch sinnvolle
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