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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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aber noch brauchten wir Gurki, denn er war Herr über den Terminkalender und hatte daher die Macht.
    Wenn wir bei unseren Lästerstunden Gurki durch hatten, kamen die Weiber an die Reihe. Jens schaltete dann immer auf Durchzug. Er und Norbert kannten sich bereits seit ihrem siebten Lebensjahr, aber selbst mit ihm sprach Jens nie über Intimes. Persönliche Probleme muss ein Mann mit sich selber abmachen. Außerdem: Der Kavalier genießt und schweigt! So konnten Norbert und ich dieses ergiebigste aller Themen so richtig erst abhandeln, wenn Jens gegangen war. Unsere gebräuchlichsten Redewendungen waren: «Ich halt das nicht aus», «Ich werd verrückt» oder «Ich dreh durch». Wir nannten Mädchen nur noch
Biester
oder
diese verdammten Biester
, da sie es unserer Überzeugung nach lediglich darauf abgesehen hatten, uns zu demütigen und vollkommen verrückt zu machen. Zu anderen Erklärungen kamen wir beim besten Willen nicht. Dabei schien doch irgendwie jeder sonst eine abzubekommen! Wir kamen uns vor wie verkrüppelte Klomänner mit Durchfall undGesichtswarzen. Uns blieb nichts weiter übrig, als den Umgang mit dem anderen Geschlecht auf ein Minimum zu reduzieren, regelmäßig zu entsaften und ansonsten auf ein blaues Wunder zu warten. Ende der Debatte. Irgendwie bekam Frau Holzhauer unseren Frust einmal mit und versicherte uns, dass wir als
Künstler
eigentlich 1A Partien mit freier Auswahl wären:
    «Als Musiker ist man immer begehrt.»
    «Nee, Mutti, wirklich nicht. Die blicken durch uns durch.»
    «Ach was, die trauen sich bloß nicht, euch anzusprechen. Ihr müsst nur mal richtig hingucken.»
    Wer weiß, vielleicht war das in den fünfziger Jahren ja tatsächlich mal so gewesen.
    Meine Mutter wurde derweil endlich in die Reha nach Bad Bevensen entlassen. Der von Harburg ungefähr 40   Kilometer entfernte geriatrische Kurort liegt versteckt im Heidekraut mitten in der Walachei. Mutter konnte mit Hilfe eines Gehwagens, der Fachmann sagt
Deltarad
, wieder ein klein wenig laufen. Mit winzigen Schritten tippelte das alte Vögelchen durch die endlos langen Flure der Klinik. Meine arme Mama war infolge der vielen Operationen noch mehr geschrumpft, von einem Meter vierundfünfzig auf jetzt einen Meter siebenundvierzig. Allein das Becken hatte sie sich viermal gebrochen; ein Wunder, dass sie überhaupt wieder gehen konnte. Einmal in der Woche juckelte ich mit dem Rentnerkadett zu ihr in die Klinik, und dann ging es sofort in die Kantine im obersten Stock. In den Garten wollte sie nicht, auch nicht bei herrlichstem Sonnenschein: «Ich vertrag keine Sonne.» Fertig, aus, nächstes Thema! Mutter bot dem dämlichen Götzen Sonnenschein schon seit vielen Jahren die Stirn. Recht so! Da konnte ich mir eine schöne Scheibe von abschneiden. Nicht jeden Quatsch mitmachen. Ich hatte die Draußensitzer immer bescheuert gefunden, die bei den ersten klitzekleinen Sonnenstrahlen im schlotterkalten März sofort die tollen Straßencafés frequentierten. Bloß keinen einzigenverdammten Strahl verpassen. Manisch war das. Wenigstens
    gab es damals noch keinen
Latte Macchiato
oder
Espresso doppio
. Tasse Kaffee oder Kännchen, fertig, aus, gut ist. Vernünftige Menschen verlassen frühestens im Mai die Wohnung. Mutter und ich waren jedenfalls souverän genug, um friedlich in der angenehm klimatisierten Kantine zu sitzen und den herrlichen Rundblick zu genießen. Ordentlich happahappa, danach ein Zigarettchen nach dem anderen und mindestens einen halben Liter schönen deutschen Moselwein verhaften, sodass ich zum habituellen Sonntagabendvergnügen bei Schorschi immer schon vorher einen schönen Glimmer hatte. Vorglühen ist eine Kunst. Was sollte nur werden, wenn sie entlassen würde? Heimlich wünschte ich mir, Mutter würde ewig in der Reha bleiben.

Uniformen Heinemann
    Einer der Leitsätze von
Tiffanys
war: Wer rastet, der rostet. Oder: Stillstand ist Rückschritt. Oder: Wer nicht mit der Zeit geht, geht gegen sie. Oder: Ohne die Bereitschaft, etwas Neues zu wagen, ist man schon so gut wie erledigt. Undundundoderoderoder. Optimierungsbedarf wurde jedenfalls bei der Garderobe ausgemacht. Mit dem pinken Dress kam man nicht weiter, das war Gurkis feste Überzeugung. Auf einem Bandabend beschlossen wir daher, uns als zweite Garderobe weiße Smokings zuzulegen. Vermittels des neuen Outfits wollten wir uns eine andere Klientel erschließen; der Smoking sollte das Entree sein in die mondäne Welt der Ärztebälle oder der Jahrestagung

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