Fleisch ist mein Gemüse
streckt, kann aus ihm etwas Neues geformt werden. In der Fremdenlegion sieht man das ebenso. Zuerst mussten die Gören also sämtliche Tonleitern beherrschen. Warum mit C-Dur , G-Dur und F-Dur beginnen, das ist langweilig und konventionell. De s-Dur , Fi s-Dur und a s-Moll haben doch auch eine Daseinsberechtigung. Es gibt keine unwichtigen Tonleitern, es gibt nur schlampige Lehrer. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Bei meinen Hochleitungsexerzitien fristeten auch verminderte, übermäßige und alterierte Tonleitern kein Schattendasein. Die Sprache der Musik ist reich, sie besteht nicht nur aus zehn Vokabeln. Die typische Aufgabe für einen Achtjährigen: Quartenübungen in Es-, As-, Des- und Ge s-Dur , halb verminderte Akkorde in allen Kreuztonarten und diatonische Dreiklänge, wenn ich gnädig war, erst mal in C-Dur : C-e-g, d-f-a, e-g-h usw. Die Studien müssen sauber beherrscht werden, und wenn es sechs Wochen dauert, nun gut, dann dauert es eben sechs Wochen. Selbst wenn es sechs Jahre bräuchte, wäre das ja wohl nicht meine Schuld!
Bei diesen Anforderungen hatte ich eine hohe Fluktuation, denn das hielt natürlich niemand lange durch. Vielleicht wundertensich Tobias oder die anderen Lehrer über die seltsamen Geräusche, die aus meinem Raum drangen, aber das ging die schließlich gar nichts an. Moderner zielorientierter Unterricht drang da heraus und kein Larifariquatsch mit Soße. Ich begann zeitweise schon um ein Uhr mittags, und Feierabend war erst abends um acht, Pausen Fehlanzeige. Durchgehend wurde getrötet und gepfiffen, und ich musste mir immer neue Sabbelthemen auf niedrigem Niveau ausdenken. Das war anstrengend. Manchmal wollten die Eltern sogar noch zuhören. Dann überkam mich immer große Lust, die verzogenen Blagen vor ihren Augen auch körperlich zur Räson zu bringen:
Was, das soll ges halb vermindert sein?! Klatsch, klatsch. Wenn du vor mir schon keinen Respekt hast, dann wenigstens vor deinen armen Eltern. Los, nochmal!
Na ja, ich ließ dann doch meistens Gnade vor Recht ergehen. Wie hatte Mutter das bloß die ganzen Jahre durchgehalten? Kein Wunder, dass sie verrückt geworden war.
Unendlich erleichtert tuckerte ich jeden Montagabend zurück ins Zwergenhaus und genehmigte mir anschließend immer ordentlich einen, denn das hatte ich mir verdient.
Merkur Disc 2
Schorsch hatte in seiner Taverna einen Geldspielautomaten aufstellen lassen, den Merkur Disc 2. Ich wusste nicht, wie solche Geräte funktionieren, und hatte mir nie den magischen Reiz erklären können, den drei sich drehende Scheiben auf manche Menschen ausüben. Oft waren es Rentner, die mit geschwollenen Beinen stundenlang vor den Automaten standen und ihre Pension opferten. Vielleicht war das ein besonderes, stilles Altersglück, Scheiben mit unterschiedlichen Symbolen beim Rotieren zuzusehen. Jens schien jedoch genau Bescheid zu wissen. Als wir erstmals die jetzt mit dem Automaten bestückte Taverna aufsuchten, war mein sonst so nüchterner Bandkollege wieelektrisiert und setzte sich gleich an den Tresen, von dem aus die Gurke in Griffnähe war. Er zückte sein Portemonnaie, entnahm ihm ein Fünfmarkstück und ließ es in den Münzschlitz des Zauberkastens gleiten. Sogleich entspannten sich seine Züge, und er folgte wie hypnotisiert dem Lauf der Scheiben. So kannten wir ihn gar nicht. Abwesend bestellte er ein großes Bier und ein großes Souvlaki und spielte. Ab und an gewann er mal dreißig, mal vierzig Pfennig, einmal sogar eins achtzig, die er jedoch unter lautem Fluchen sofort wieder
verdrückte
. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was
verdrücken
heißt. Norbert und ich spielten keine Rolle mehr, bitte schön, wenn der Herr eine Maschine interessanter findet als lebendige Menschen … Beleidigt wandten wir uns unserem ewigen Nr. - 1-Thema , den
Biestern,
zu. Wir waren uns einig, dass es bei Schorsch unter anderem deshalb so gut sei, weil man von den
Biestern
unbehelligt bleibe und außerdem noch etwas bekomme für sein Geld (Souvlaki, mannsgroß). Niemals wäre ein hübsches, junges Mädchen auf die Idee gekommen, sich freiwillig in der schmuddeligen Kaschemme aufzuhalten, es sei denn, sie wäre von ihren Eltern dazu gezwungen worden.
Wenn Opa Geburtstag hat, kommst du mit zum Griechen, sonst kriegst du kein Geld für Ibiza
. Die einzige Frau, die wir hier regelmäßig zu Gesicht bekamen, war Schorschs Frau, die in der Küche schuftete. Aber die Frau von Schorschi war tabu, wir
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