Fleisch ist mein Gemüse
begann.
Legendär war Gurkis Versuch, den doofen Elton-John-Schlager
Nikita
zu transkribieren. Da weder Noten noch Text aufzutreiben gewesen waren, hatte er die Aufgabe bekommen, den Titel nach Gehör aufzuschreiben. Leider verfügte er nur über rudimentäre Englischkenntnisse. Zufällig habe ich einmal einen Blick in seine Textmappe geworfen. Die ersten Zeilen vom Original lauten:
«Hey, Nikita, is it cold, in your little corner of the world?»
In der handschriftlichen Übersetzung Gurkis wurde daraus:
«In Nikita it is cold, in your little carnon of the word.»
Leider erinnere ich mich nur noch an diese erste Passage, aber es ging noch hanebüchener weiter, ich schwöre es! Eine andere Anekdote rankt sich um das schillernde Wort
Beinfreiheit
. Unser Bandauto war ein Mercedes 123, der sich im Privatbesitz von Gurki befand. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das altersschwache Fahrzeug seinen Dienst aufgeben würde, und Gurki erwog die Anschaffung eines Mercedes 190 d. Einziger Nachteil an diesem sonst grundsoliden Auto sei, laut Gurkis ergonomischem Urteil, die mangelhafte
Beinfreiheit
. Haha.
Beinfreiheit
! Es war uns ein Rätsel, wie der kleinwüchsige Bandleader mit seinen kurzen Beinen beim Erwachsenenwagen Mercedes 123 überhaupt Brems- und Gaspedal erreichen konnte. Von den Innenmaßen hätte vielleicht ein Panda oder Seat Ibiza zu ihm gepasst, und jetzt machte sich der Sitzriese allen Ernstes Gedanken über die Beinfreiheit im 190 d. Wenn man sonst keine Sorgen hat!
Beinfreiheit
löste
Vielleicht nix gut
als Dauerspruch ab, den wir besonders gern in Gegenwart des ahnungslosen Gurki benutzten, der seine Bemerkung längst schon wieder vergessen hatte. Irgendwo fiel im Gespräch plötzlich ohne Bezug zum vorher Gesagten das Wort
Beinfreiheit
. Alle schütteten sich aus vor Lachen, und Gurki lachte hilflos mit. Er hatte natürlich keine Ahnung, warum, aber egal, Lachen ist ja gesund. Er bot einfach die breiteste Angriffsfläche, die man sich nur vorstellen konnte. Jeder Schuss ein Treffer: Er musste für dreiKinder Alimente zahlen! Sein Musikgeschäft
Da Capo
lief nicht! Mit der Mucke verdiente er auch nicht genug dazu! Die Miete fürs Reihenhaus! Der teure Mercedes! Diverse Reparaturen! Neuanschaffungen, Fernseher, Kaffeemaschine, Gewürzbord! Versicherungen, Urlaub, Garten, Geschenke, Altersvorsorge. Und wer weiß, was noch! Stundenlang spekulierten wir mit glänzenden Augen über seinen unausweichlichen Untergang. Dabei hatte er unsere Feindseligkeit zumindest teilweise selbst zu verantworten, denn er war ein Opportunist alter Schule. Einmal stand ich während einer Pause hinter dem Bühnenvorhang und rauchte heimlich, da Rauchen auf der Bühne nicht so gern gesehen wird. Gurki kurbelte zwei Meter von mir entfernt an den Knöpfen des Mischpults herum, konnte mich jedoch nicht sehen. Plötzlich unterbrach Torsten die Lektüre der
Bunten
und gesellte sich zu ihm.
«Jens spielt heute aber wieder scheiße.»
«Das kannst du wohl laut sagen. Grottenmäßig.»
«Der müsste wirklich mal Keyboardunterricht nehmen.»
«Ich hab ihm das schon oft vorgeschlagen, aber er will ja nicht.»
«Mir geht auch das ständige Gepfeife auf den Sack. Das ist ja nicht auszuhalten.»
«Ja, ätzend. Und es wird immer schlimmer.»
«Das müsste ihm echt mal einer sagen.»
«Genau.»
Missmutig stapfte Torsten zur Toilette. Eine Minute später kam Jens mit einem Frischgezapften vom Tresen angedackelt.
«Sag mal, täusch ich mich, oder wird Torsten heute bei jedem Stück schneller?»
«Da täuschst du dich leider nicht. Das Timing ist katastrophal.»
«Er macht auch viel zu viele Fills. Das matscht die ganzen Stücke zu.»
«Stimmt. Bei einigen Songs hört man nur noch Schlagzeug.»
«Und bei der Tischmusik sollte er doch Besen spielen.»
« Zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.»
«Aber das Schlimmste ist immer noch sein Timing.»
«Na ja, Schlagzeuger gibt’s wie Sand am Meer.»
Dann kam Torsten zurück, und Jens verzog sich pfeifend hinter seine Keyboardburg. Gurki dachte wohl, er könne mit dieser ausgefuchsten Strategie seinen Chefstatus zementieren. Er sah sich als tiefenpsychologisch geschulten Strippenzieher, der seine Schutzbefohlenen nach Belieben manipuliert und gegeneinander ausspielt. Doch er stellte sich dabei so ungeschickt an, dass alle es mitgekriegt haben. Wir machten uns einen Spaß daraus, uns sofort immer alles weiterzuerzählen. Jeder andere wäre wahrscheinlich rausgeflogen,
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