Fleisch ist mein Gemüse
betrachteten uns als Ehrenmänner. Bald schon waren Jensens Silbergeldvorräte erschöpft, und er wechselte bei unserem Wirt den ersten Zehnmarkschein. Das Essen schlang er hastig, ununterbrochen die Teufelskiste fixierend, in sich hinein. Mit Sorge beobachteten wir die unheimliche Metamorphose unseres bis dahin so disziplinierten Freundes. Nachdem sein Vorrat an Zehn- und Zwanzig-Mark-Scheinen verbraucht war, wechselte er erstmals einen
Fuffi
um. Der sonst so sparsame Jungbeamte war bereits beim vierten Bier angelangt. Ab und an wurde er laut.
Scheißteil, Dreckskiste, Kackautomat,
der Fickdisc macht nichts von allein. Blöde Sau, dich melk ich heut noch ab
. Abmelken. Norbert und ich guckten uns vielsagend an. Unser sonst stets gut gelaunter Kollege verlor zusehends die Kontrolle über sich und sein Vokabular. Norbert versuchte, den entfesselten Blondschopf zur Vernunft zu bringen:
«Hör auf, das bringt doch nix. Hinterher ärgerst du dich nur.»
«Kümmer du dich mal lieber um deinen eigenen Scheiß. Du weißt doch noch nicht mal, wie die Dinger funktionieren!»
Da hatte er natürlich Recht.
«Dann sag doch mal, wie das geht.»
Jens schien nur darauf gewartet zu haben, seinen Wissensvorsprung weiterzugeben. Begeistert erklärte er die Funktionsweise des Kastens.
«Also, da sind doch drei Scheiben. Wenn auf den dreien der gleiche Betrag erscheint, hat man den dann gewonnen. Meist sind das aber nur dreißig oder vierzig Pfennig. Es lohnt nicht, das anzunehmen, weil ein Spiel schon dreißig Pfennig kostet. Deshalb kann man den gewonnenen Betrag auch auf der Risikoleiter riskieren. Du gewinnst entweder das Doppelte oder gar nichts, jeweils mit dem Risiko 1 : 1. Ziel ist, Sonderspiele zu bekommen. Die mittlere Scheibe hat zur einen Hälfte weiße und zur anderen Hälfte schraffierte Felder. Wenn man innerhalb eines Sonderspiels auf ein schraffiertes Feld kommt, gewinnt man drei Mark. Das Beste ist, wenn man statt drei gleichen Geldbeträgen drei Sonnen hat. Dann kriegt man eine Ausspielung im Sonderspieltableau und kann bis zu einhundert Sonderspiele gewinnen.»
Jensens Augen glänzten. Er hätte noch ewig weitererzählen können. Norbert fragte schüchtern nach.
«Und, hast du schon was gewonnen?»
Jens wurde ernsthaft sauer. «Sag mal, hast du keine Augen im Kopf? Die Sau macht überhaupt nichts, die schmeißt einfachnicht. Ich hab jetzt schon hundertzwanzig Eier hier stecken und noch keine einzige Ausspielung. Das dumme Dreckstück muss bald mal kommen. Ich melk ihn heut noch ab, ich schwör’s dir.»
Er hatte bereits eine persönliche Beziehung zu dem Automaten aufgebaut. Dann lief endlich ein Gewinn ein: drei Mark, immerhin. Feindselig nahm Jens den Automaten ins Visier.
«So, jetzt bist du dran.»
Er drückte den Geldbetrag auf der Risikoleiter auf das nächsthöhere Gewinnfeld, drei Sonderspiele, dann auf sechs und schließlich auf zwölf. Fieberhaft wartete Jens auf den richtigen Augenblick. Sein Daumen drückte schließlich mit aller Kraft auf die Risikotaste. Geschafft! Das Licht blieb oben. Vierundzwanzig Sonderspiele. Vierundzwanzig Sonderspiele mal drei Mark sind 72 Mark, macht abzüglich der voraussichtlichen fünfzig Prozent Nieten immerhin 36 Mark. Die Anzeige sprang jetzt zwischen vierundzwanzig und fünfzig hin und her. Konzentrierter als Jens in diesem Moment konnte ein Mensch nicht mehr sein. Dann sagte Norbert das wohl Unpassendste, was man in einem solchen Moment sagen kann:
«Hör doch auf. Das geht schief, das hab ich im Gefühl. Nimm das an!»
Mit voller Wucht rammte Jens seine Wursthand flach gegen die Plastiktaste. Der Apparat machte ein höhnisches Geräusch, und die Anzeige fiel auf null. Alles verloren. Die Schuldfrage war eindeutig: Norbert mit seinen kleinkarierten Bedenken. Kontrollverlust. Jens schrie den langweiligen Spießer an:
«SAG MAL, WAS SOLL DAS DENN, DU IDIOT! GUCK DIR DAS DOCH AN!»
Der Automat zeigte
Nichts
. Das war besonders perfide. Nicht
Leider verloren
oder
Kein Gewinn
, sondern
Nichts
. Das hatte eine vernichtende Wucht. Die ganze Person ein elender Versager, ein
Nichts
. Jens war außer sich vor Wut und Enttäuschung:
«BIST DU NICHT GANZ DICHT MIT DEINEM GELABER? DAS WAR MEINE LETZTE CHANCE HEUTE. ICH HAB KEINE KOHLE MEHR. DRECKSKISTE.»
Dann wandte er sich an den unschuldig guckenden Schorsch:
«DAS IST JA WOHL NICHT DEIN ERNST MIT DEM SCHEISSDING HIER!»
Der dürre Grieche antwortete gewohnt orakelhaft: «Mal hast du Glück,
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