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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Kopf und lacht dabei hysterisch. Im Vordergrund sieht man angeschnitten eine alte Frau sitzen, vermutlich ihre Großmutter. Eine Unverschämtheit, mir so etwas zu schicken! Wer war ich denn! Die Sängerinnen zumindest konnten ja nicht wissen, wer ich war. Die meisten wollten sich allerdings persönlich bei mir vorstellen. Neugierig wie eine Hutzeloma saß ich in der Küche und lupfte ein wenig die Vorhänge, um sehenzu können, wer da durch den winzigen Garten heranstapfte. Sie hatten mein Hexenhäuschen wohl mit der Geisterbahn, Künstlereingang, verwechselt, so sahen die
Sängerinnen
jedenfalls aus, haha. Schreckschrauben. Richtige Schreckschrauben. Und singen konnte auch keine, mit einer Ausnahme: Anja. Sie war gerade mal achtzehn, trällerte so schön wie ein kleines Vögelchen und war wunderhübsch. Außerdem schien sie sich weder an meinen Pickeln noch an dem wenig viel versprechenden Eindruck meines Homestudios zu stören. Ich hatte noch nicht einmal einen Produzentendrehstuhl. Synthesizer und Effektgeräte waren auf mehrere Teewagen verteilt, und das Mischpult stand auf einem Tapeziertisch. Für mich als Pragmatiker war die Hauptsache, dass ich überall bequem herankam. Das erste gemeinsame Stück, das wir zusammen aufnahmen, hieß
Lullaby
. Ach, war das schön. Meine Musik, endlich gesungen von einer Sängerin. Auch ihr gefiel die Ballade so gut, dass sie in zwei Wochen wiederkommen wollte, um den nächsten Titel einzusingen. Es sollte nach Plan gehen: Fotosession, Plattenvertrag und ab durch die Mitte. Alle vierzehn Tage besuchte sie mich im Zwergenhaus. Vor der anstrengenden Gesangssession wurde sie erst einmal von mir bekocht. Im Zubereiten von Hackgerichten hatte ich die meiste Routine: Hacksteak mit Kartoffelsalat, Paprika gefüllt mit Hack, Hackbällchen «Serbischer Art» oder Gehacktesstippe, ein Klassiker aus dem Harz, das waren meine bekömmlichen Standards. Obwohl Anja sehr dünn war, konnte sie enorm viel essen. Erstaunlich! Besonders dünne Menschen scheinen die Nahrung bereits beim Schlucken in reine Energie umzusetzen. Dann servierte ich uns noch frisch gebrühten Bohnenkaffee und anschließend hopphopp ab nach oben an die Arbeit. Ich war mir nicht sicher, ob ich mehr in meine jetzt endlich zum Leben erweckte Musik verliebt war oder in die zierliche Prinzessin, die auf wunderbare Weise mein Leben versüßte. Anja, Anja, Anja! Sie stand schon von Natur aus aufder Sonnenseite des Lebens. Natürlich hätte ich mich niemals getraut, einen Annäherungsversuch zu machen. Uns trennten Lichtjahre.
     
    Jens und ich bescherten Schorsch Spitzenumsätze, da er am Automatengewinn mit vierzig Prozent beteiligt war. So wurden wir seine Lieblingsgäste, die er hegte und pflegte.
    «Junkens, wie geht euch das, schön, euch zu sehen. Heute geht Souvlaki aufs Haus, ihr zahlt nur die Getränke.»
    Er deutete auf den Disc.
    «Heute ist er fällig. Da war gestern son Opi da, der hat dreihundert Mark reingesteckt. Ist nichts gekommen, ihr werdet sehen, heute schmeißt er.»
    Natürlich schmiss er nicht.
    Eines Nachts nach der Mucke standen Jens und ich auf dem Holzhauerhof und rauchten noch eine.
    «Sag mal, Heinzer, hast du eigentlich schon mal was von Ahrens gehört?»
    «Ne, was ist das?»
    «Das ist eine Spielhalle im Phoenixviertel, die hat ’ne Nachtlizenz, da kannst du vierundzwanzig Stunden am Tag daddeln.»
    «Spielhalle, ich weiß nicht, da war ich noch nie drin.»
    «Echt? Komm, wir fahren gleich mal hin, ich zeig dir das.»
    Er war heiß. Eine halbe Stunde später saßen wir nebeneinander vor zwei Merkur Disc 2, den damals beliebtesten Geldspielgeräten überhaupt. Die Spielhalle wirkte ziemlich heruntergekommen, und das Erste, was mir auffiel, war der eigentümliche Geruch. Alle Spielhallen riechen so. Warum wohl? Ist es der Eigengeruch der Automaten, die überall gleiche Auslegeware oder gar ein unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten kreiertes Raumspray, das die Kunden willenlos machen soll? Der Verzehr von Alkohol war streng verboten. Dafür rauchten diepaar übermüdeten Spieler, was das Zeug hielt. Es waren fast alles Südländer, die den Eindruck vermittelten, als hätten sie gerade erfolgreich ihre krummen Geschäfte abgewickelt und wollten jetzt bei einer Hunderterserie die Nacht ausklingen lassen. Sie spielten meist mehrere Automaten gleichzeitig, gingen immer auf volles Risiko und hetzten wie wilde Raubtiere durch die spackige Halle. Das war natürlich sehr beeindruckend für uns

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