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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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mal Pech. Steckst du nicht drin, musst einfach laufen lassen.»
    Jens verzichtete auf eine Antwort und lieh sich bei Norbert das Geld fürs Essen.
    «Das hol ich mir wieder, ich schwör’s.»
     
    Am nächsten Tag klingelte gegen sechs Uhr das Telefon. Jens war dran.
    «Sag mal, hast du Bock, heute nochmal zu Schorsch? Ich geb einen aus.»
    Eine Stunde später saßen wir erneut am Tresen, und mein Kollege klärte mich über seine Sucht auf. Er war mal im Winsener Croqueladen
Le Monsieur
angefixt worden, als er auf Anhieb eine
Hunderterserie
gewonnen hatte. Seitdem übten Geldspielautomaten einen magischen Reiz auf ihn aus. Jens machte mir den Vorschlag, den Automaten abwechselnd zu spielen, jeder immer einen Fünfer. In den kommenden Stunden versenkten wir einen Heiermann nach dem anderen im Disc, bis bei mir endlich die erste Ausspielung einlief. Auf dem Sonderspieltableau flackerte ein Licht rasend schnell zwischen 3, 5, 10, 12, 20, 25, 50, 75 und 100 umher, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass das Licht bei drei bzw. fünf Sonderspielen stehen bleiben würde, mit jeweils vierzig Prozent angegeben war und für die hundert gerade noch ein Prozent verblieb. Das Licht blieb bei der 75 stehen.
Fünfundsiebzig Sonderspiele!
Das wäre eigentlichJensens Gewinn gewesen. Er hatte mit gestern zusammen über zweihundert Mark im Automaten gelassen und ich erst knapp dreißig. Tja, Pech gehabt. Die Gurke schmiss hundertundvierzig Mark. Wir spielten weiter, und bei mir lief erneut eine Ausspielung ein. Diesmal gewann ich fünf Sonderspiele.
Tüt, Tüt, Tüt, Tüt.
Fragend blickte ich zu Jens.
    «Die musst du riskieren, das lohnt sonst nicht.»
    Ich drückte erst auf 10, dann auf 20.
    «Los, weiter, einen noch, den kriegst du!»
    In Wahrheit hoffte er natürlich, dass ich abstürzen würde, denn ein Spieler gönnt dem anderen nicht das Schwarze unter den Nägeln. Doch ich schaffte erfolgreich vierzig Sonderspiele. Achtzig Mark schmiss die Kiste. Ein guter Abend war das.
    Jens und ich erhöhten unsere Schorschfrequenz auf zweimal die Woche. Wir setzten uns immer sofort an den Tresen und fütterten abwechselnd den Automaten. Geredet wurde nur das Allernötigste. Wir waren Männer, die es einfach
taten
. Schorsch stellte uns unaufgefordert große Biere hin und wenig später Souvlaki. Im Durchschnitt verloren wir jeder ungefähr fünfzig Mark pro Abend, die Zeche kam dazu. Da wusste man auf einmal, wofür man jedes Wochenende zum Mucken loszog!

1987
    Synaptischer Spalt
    Nach wie vor zuckelte ich jede Woche in die verwunschene Rentner-Enklave Bad Bevensen. Ganz schief und krumm war meine arme Vogelmama zusammengewachsen, und nun sollte sie endlich entlassen werden. Mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken. Wieder mit Mutter zusammenwohnen, herrje! Ich war schließlich schon fünfundzwanzig, so würde das ja nie etwas werden mit den Weibern. Obwohl, Mutter hin, Mutter her, eine begehrte Partie war ich auch als Junggeselle mit sturmfreiem Zwergenhaus nicht gewesen.
    Mutter war es in den letzten Wochen seelisch immer besser gegangen. Sie benahm sich jetzt fast wie ein
normaler
Mensch, schmiedete Pläne für nach der Entlassung, aß mit großem Appetit und schnatterte in einem fort. Die Ärzte führten das auf die kluge Medikation zurück, ich hingegen blieb misstrauisch, denn ich kannte mittlerweile alle Täuschungen und Tricks der Teufelskrankheit. So hatte sich die Psychose bislang immer angekündigt. Und ich sollte leider Recht behalten, denn Mutter hatte plötzlich wieder dieses irre Flimmern in den Augen. Der Wendepunkt war erreicht, der Wahnsinn würde wieder Einzug halten. Obwohl Mutter in der Klinik unter ständiger Aufsicht stand, brach sich die Krankheit ihren Weg. Unglaubliche Kräfte vermag so eine akute Psychose zu mobilisieren. Das Höllenfeuer tobte in dem kleinen, alten Bündel Mensch und drohte es endgültig zu vernichten. Stundenlang latschte sie, oft laut betend, mit ihrem Geländewagen herum, verwickelte ihre Mitpatienten in endlose Gespräche über den drohenden Weltuntergang, entwickelteweit gespannte Verschwörungstheorien und blockierte das Schwesterndienstzimmer. Als irrlichternder Fixstern verglühte sie in den endlosen Gängen der Diana-Klinik. Es hätte mich wirklich nicht gewundert, wenn sie Feuer gefangen hätte. In der allerletzten Phase begann sie, wie fast immer in diesem Zustand, von ihren Abtreibungsversuchen zu halluzinieren.
    «Heinz, ich wollte dich umbringen, ich bin eine Mörderin. Ich habe mehrmals

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