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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Schmalspurdaddler. Jens spielte auf kleiner Flamme, das heißt, er nahm auch kleinere Gewinne an und gewann so ungefähr zwanzig Mark. Ich hingegen verlor den obligatorischen Fuffi. Eine schöne Belohnung für die harte Arbeit.
    So wurde es uns eine liebe Gewohnheit, nach fast jeder Mucke
auf einen Fuffi
noch zu Ahrens zu fahren. Und nicht nur zu Ahrens: In der Nähe der Zwergensiedlung gab es auch vier Hallen, die mir früher nie aufgefallen waren. Ich wechselte bei der Aufsicht meist gleich einen
Hunni
, ließ mir Kaffee geben, der immer umsonst ausgeschenkt wurde
(Kaffee satt
), setzte mich vor einen Automaten und verbrachte wunderbare, anonyme Stunden. Herrlich, wenn der erste Heiermann durch den Münzschlitz glitt und frisch aufgebrühter Bohnenkaffee die Kehle herunterpullerte. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Biester gab’s keine, und lästige Gespräche wurden mir auch nicht aufgenötigt. Eine komplett angstfreie Zone. Schön mit ein paar Rentnern und Ausländern im halbdunklen Raum hocken, kochend heißen Jacobskaffee trinken und dem Lauf der Scheiben folgen. Dass mindestens ein Drittel meiner Gagen in den metallenen Bäuchen meiner neuen Freunde landete, störte mich nicht im Geringsten. Andere gingen essen, fuhren ständig in Urlaub oder kauften sich alle zwei Jahre einen Neuwagen. Ich spielte eben!
    Mit Urlaub hätte man mich sowieso jagen können. Schon bei der Vorstellung, für teures Geld in ein überhitztes Land mit riesigen Insekten zu fliegen, in dem man weder die Sprachenoch die Gebräuche kennt, bekam ich einen Schweißausbruch. Außerdem wäre die Sonne wegen meiner Pickel nichts für mich gewesen. Mythos Sonne. Bei Temperaturen über 23   Grad kommt es zu innerem Abrieb, der Körper übersäuert, und man wird zum Pflegefall. Ich war auch kein Stück neugierig auf fremde Länder und Kulturen. Die Erwartungen an den Urlaub werden eh nie erfüllt. Quallenplage, Moosbefall, Bettenburgen, Erdstrahlen, giftige Tapeten und Gebäudesprengungen: Die meisten Urlauber kehren als Wracks aus dem Urlaub zurück, traumatisierte Discount-Touristen, von skrupellosen Reiseveranstaltern in den Alltag abgeschoben. So klebt der Pauschalzombie auf dem Weg nach Hause mit nässendem Po und blutunterlaufenen Augen auf den durchgescheuerten, viel zu engen Sitzen des abgewrackten Ostfliegers und bittet um Vergebung.
    Das war so ungefähr meine Meinung über Urlaub. Mir reichte völlig, was ich aus dem Fernsehen erfuhr. Alles Fremde machte mir Angst. Eigentlich machte mir alles Angst: Einkaufen, Autofahren, mich mit fremden Menschen unterhalten undundundoderoderoder.
    Was für ein Leben: Mucken, Mutter besuchen, Schorsch, Spielhalle, ab und zu nach Winsen fahren, frickeln, fernsehen, melken. Weiber Fehlanzeige. Restaurantbesuche, Urlaub, Disco Fehlanzeige, Fehlanzeige, Fehlanzeige. Alle anderen ja, ich nein. Meine einzigen Leidenschaften neben der Daddelei waren Starkbier und Zigaretten. Ich trank am liebsten allein, da ich mich so besser auf die Wirkung konzentrieren konnte, und rauchte Unmengen Camel ohne. Herrlich, wenn endlich Abend war, auch wegen der Pickel. Die im Dunkeln sieht man nicht. Jeden Abend kam ich dem großen Ziel, vierzig Jahre alt zu werden, wieder ein Stück näher. Was waren das eigentlich für Vollidioten, die behaupteten, der Tag könne auch gern mehr als vierundzwanzig Stunden haben? Ich war gern bereit, ihnen die Zeit zwischen zwei Uhr nachmittags und zehn Uhr abendsabzutreten. Elende Streber, sollten sie sich doch an Zweiunddreißigstundentagen die Zähne ausbeißen!
    Meine Depressionen wurden immer ärger und ließen sich auch bei den Mucken nicht mehr verbergen. Wie ein Stein stand ich auf der Bühne und glotzte ins Leere. Immer öfter begannen sich die Leute über mich zu beschweren:
    «Was ist denn mit eurem Saxophonisten los, ist der immer so?»
    «Der hat Liebeskummer.»
    «Aha. Na, dann gute Besserung.»
    Meine Kollegen deckten mich. Ich hatte einen Ausnahmestatus, da ich als Künstler galt und daher geschont werden musste. Außerdem glaubten sie, dass es von allen Seiten Abwerbungsversuche gebe. Ich ließ sie gern in diesem Irrglauben, wusste allerdings auch, dass ich den Bogen nicht überspannen durfte. Als Solist stand ich zu allem Überfluss noch an der exponiertesten Stelle in der Mitte der Bühne. Ich war das Zentrum der schlechten Laune. Unser zumeist rustikales Publikum scheute sich dann oft auch nicht vor einer kritischen Auseinandersetzung, meist, wenn ich gerade

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