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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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nieder, Bursche.›»
    Diese Ansagen!
    Taco blieb aus Höflichkeit noch eine halbe Stunde und fuhr dann mit seinem Käfer Cabriolet nach Hause.
    «Tschüs, Jungs, hat Spaß gemacht. Und wenn mal wieder was ist, ruft einfach an.»
    «Tschöööööös, Taco.»

Wiedervereinigung in Brunsbüttel
    Als wenige Wochen später dann im November die Mauer kollabierte, enorm schlecht gekleidete DD R-Bürger außer Rand und Band in Westberlin einfielen und der Zusammenbruch des gesamten Ostblocks nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, war man sich bei
Tiffanys
einig darüber, dass das keine gute Entwicklung war: «Jetzt kommen die alle hier rüber und fressen uns die Haare vom Kopf.»
    Die Einschätzung von Jens war durchaus wörtlich gemeint.Ein ganz klarer Fall von Futterneid, da er bei den Ostlern großen, jahrzehntelang unterdrückten Fleischappetit vermutete. An Obst und Gemüse konnten sie sich seinetwegen ja gütlich tun, aber bitte nicht das ganze gute Westfleisch aufessen! Torsten hatte die Existenz zweier deutscher Staaten auch immer sinnvoll gefunden; er sah die drohende Wiedervereinigung als einer der Ersten auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten: «Was das noch alles kostet!» Meine Haltung war ebenfalls klar: «Drüben bleiben, Briefe schreiben.» Im Dezember machten der Rücktritt des gesamten ZKs und des Politbüros sowie die ersten lauten Forderungen nach Wiedervereinigung unsere Hoffnungen auf Erhalt des Status quo zunichte. Das war’s dann wohl gewesen mit der Teilung.
    Silvester 1989/​90 waren wir in Brunsbüttel gebucht. Am Brandenburger Tor feierten Deutsche von hüben und drüben das erste Mal wieder gemeinsam Silvester; für
Tiffanys
war diese Jahreswende ebenfalls von historischer Bedeutung, weil es hier das erste und einzige Mal zu sexuellen Handlungen zwischen Bandmitgliedern und weiblichen Gästen kam. Brunsbüttel ist das industrielle Gravitationszentrum des Kreises Dithmarschen in Schleswig-Holstein. 13   000   Einwohner leben in dem Städtchen, und wie Harburg die Phoenix hat, so hat Brunsbüttel seit dem 9.   2.   1977 ein eigenes Atomkraftwerk, eines der ältesten Deutschlands. Mittlerweile gibt es sogar einmal im Jahr einen Rundlauf um den Meiler. Das Bild der Dithmarscher Landschaft wird durch eiszeitliche Hügelformationen bestimmt, und eiszeitlich war es auch, als wir im bereits halb verfallenen
Hotel Sievers
ankamen: kalt, zugig und duster. Ich hatte den Eindruck, als wären wir irgendwo an der russischen Polargrenze gelandet. Tiefe Risse durchzogen das steinalte Gemäuer, der Parkplatz war übersät mit Schlaglöchern, in denen wahrscheinlich radioaktiv verseuchtes Wasser stand. Das Ganze war deklariert als große Silvestergala mit Drei-Gänge-Menü, einem Top-Orchester(
Tiffanys
) und einer Karibik-Mitternachsshow mit einer internationalen Nr.   - 1-Band (
Goombay Dance Band
), Übernachtung, ein Glas Sekt und der obligatorische Berliner inklusive. Endzeitstimmung schwebte über dem maroden Gebäude. Wahrscheinlich stand hier der letzte große Zahltag vor der Sprengung am Neujahrsmorgen an. Da die Kaschemme zu allem Überfluss offenbar auch noch hoffnungslos überbucht war, bekamen
Tiffanys
lediglich
ein
Doppelzimmer zugewiesen.
    «Ich wusste nicht, dass ihr so viele seid», log der Wirt und ließ uns noch drei spakige Matratzen bringen. Die Lage war bereits jetzt hoffnungslos. Das Essen durften wir nach dem Soundcheck direkt in der Küche einnehmen, wo die Vorbereitungen fürs
Galadiner
bereits auf Hochtouren liefen. In eine Ecke gekauert, verzehrten wir ein handwarmes Tellergericht aus schwer zu bestimmendem Fleisch, Mischgemüse, Salzkartoffeln und Soße. Es erinnerte sowohl äußerlich als auch vom Geschmack her an das Nachkriegsessen, von dem mir meine Großeltern früher so oft erzählt hatten. Rübenwinter anno dunnemals. Jens, der sich immer wie ein Kind aufs Essen freute, war verzweifelt: «Guck dir das mal an. Was ist denn das bloß für ein Fleisch?»
    Lange Fettadern durchzogen den wabbeligen Braten. Jens schälte sich mit Messer und Gabel langsam zum Kern vor. Schicht um Schicht trug er Fett, Sehnen und Schwabbelzeug ab, um schließlich festzustellen, dass nichts übrig blieb. Eine Fata Morgana! Ein Fleischplacebo!
    Es regnete in Strömen, als gegen 19   Uhr drei Reisebusse auf den Parkplatz bogen. Missmutig stiegen die Gäste aus. Sie ahnten wahrscheinlich schon, was ihnen blühte. Nachdem sie ihre Zimmer bezogen hatten, trudelten sie fein

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