Fleisch ist mein Gemüse
ich auf einen Schlag noch einmal vier neue Schüler: zweimal Maike, den kleinen Michael und Frau Kleinschmidt. Die beiden Maikes waren sechzehn und siebzehn und wurden schnell diebevorzugten Objekte meiner erotischen Tagträumereien. Die ältere Maike hatte einen gigantischen Busen. Wirklich groß. Nur für Kenner. Sie schämte sich dafür und versuchte, die mannsgroßen Glocken unter sackartigen Sweatshirts verschwinden zu lassen. In Wahrheit fielen sie so fast noch mehr auf. Die jüngere Maike hatte irgendwie ein ordinäres Gesicht, was mich gleich wieder auf einschlägige Gedanken brachte. So lag zumindest nach meinem Empfinden immer eine Haube erotischer Spannung über der halbstündigen Unterrichtseinheit. Mit beiden Maikes verstand ich mich gut, und wir sabbelten, was das Zeug hielt. Der kleine Michael hatte weder etwas zu reden noch zu lachen. Er war neun und wurde immer von seiner Mutter zum Unterricht gebracht und wieder abgeholt. Sie hatte ihren Sohnemann zur Querflöte verdonnert, und nun kam der verängstigte Wurm jede Woche in den muffigen Lehrpavillon, um Buße zu tun. Er war so in Not, dass er während des Unterrichts dauernd leise vor sich hin pupste. Unablässig entwich dem Zwerg die heiße Luft. Es roch schlecht und war dem armen Michael entsetzlich peinlich, aber er konnte nichts dagegen tun. Die Flöte, ja das ganze Leben war für ihn eine furchtbare Heimsuchung. Um ihn aus seinem Elend zu erlösen, hätte man zuerst einmal seine schreckliche Mutter erschlagen müssen. Einmal war sie mit dem Abholen etwas spät dran, und ich ging mit ihm zusammen schon mal raus, eine rauchen. Da standen wir an diesem herrlichen Sommertag an der Straße, und Michael sagte keinen Pieps. Um die Stimmung etwas zu lockern, machte ich eine Bemerkung über das schöne Wetter. Die Replik des Neunjährigen:
«Ja, es weht ein recht schönes, laues Lüftchen.»
Herrje!
Er tat mir Leid, aber mein pädagogisches Konzept war mittlerweile schon so eingefahren, dass ich auch bei ihm keine Ausnahme machen konnte.
«So, Michael, von H-Dur die große Septime, wie heißt die denn?»
Langes Grübeln. «B?»
«Das ist weder richtig noch falsch. Denk mal scharf nach. B in einer Kreuztonart? Da stimmt doch irgendwas nicht. Wie muss das heißen?»
Michael schaute mich verzweifelt an.
«Na gut, ausnahmsweise sag ich’s dir. Ais, mein Lieber, Ais!! Ais ist die so genannte enharmonische Verwechslung von B, das hatten wir doch schon. So, und nun spielst du mir mal schön den Vierklang H-Dur mit großer Septime, also H-Major , damit sich der Klang auch einprägt.»
Unter leisem Gefurze mühte er sich an der Brechung des Akkords.
Frau Kleinschmidt war ungefähr fünfzig und wollte auch Flöte lernen. Sie war die Inkarnation alles Muttchenhaften, das jemals auf der Welt existiert hat. Sie hatte eine steingraue Betonfrisur, zu der sie stets Bluse, Faltenrock und graue Strumpfhosen trug. Ich musste immer an den Song von Mike Krüger denken:
Sie trägt ’nen Faltenrock, Sie trägt ’nen Faltenrock, Sie trägt ’nen Faltenrock, Leute, ich geh am Stock.»
Vielleicht waren ja die Kinder aus dem Haus, und sie wollte was
Eigenes
machen, wie in dem Jodeldiplom-Sketch von Loriot. Frau Kleinschmidt war wie Michael sehr eingeschüchtert und hatte so wenig Talent, dass ich heimlich anfing, die Unterrichtsstunden mitzuschneiden. Ich dachte, dass man die Aufnahmen vielleicht mal gegen sie verwenden könnte; ein grausiger Beweis dafür, was sich
wirklich
in den Wänden des kargen Unterrichtsraums abspielte.
«So, Frau Kleinschmidt, jetzt spielen Sie bitte eine ganze Note C, dann eine ganze Note D und dann eine ganze Note E.»
Frau Kleinschmidt spielt eine halbe Note D und eine Viertelnote F.
«Nein, Frau Kleinschmidt, C, D, E. Und alles ganze Noten, das heißt langsam. Einfach stumm bis vier zählen. Sie wissendoch, eine Viertelnote hat einen Schlag, eine halbe Note zwei Schläge und eine ganze Note vier, also bitte probieren Sie es nochmal.»
Frau Kleinschmidt spielt eine halbe Note D, eine halbe Note C und eine Viertelnote D.
1989
Stars
1989 war für
Tiffanys
das Jahr der Begegnungen mit Prominenten beziehungsweise Exprominenten. Den Anfang machte der schon schwer in die Jahre gekommene Schlagersänger Uli Martin, den wir auf dem Lüneburger Stadtfest begleiten sollten. Herr Martin hatte wohl sonst nichts weiter gelernt und musste nun mit seinem einzigen, von Ralph Siegel komponierten Hit
ManuelaErikaBarbaraichweißnichtmehr
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