Fleisch ist mein Gemüse
herausgeputzt im Saal ein. Die Tischdekoration bestand einzig und allein aus Luftschlangen. Offenbar hatte das
Hotel Sievers
kurz vor der Pleite noch einen größeren Restposten des Gute-Laune-Artikelsaufgekauft und versuchte, ihn an diesem letzten Abend unterzubringen, um die Konkursmasse überschaubar zu halten.
Tiffanys
hielten es für durchaus möglich, dass dies unser letztes Silvesterfest überhaupt als Tanzband war. Als wir die möglichen Konsequenzen der Wiedervereinigung durchspielten, erschien uns sofort das dunkle Gespenst der Ostmucker, die uns von den Futtertrögen vertreiben würden. In der DDR mussten alle Berufsmusiker studiert haben; die waren den Westmuckern handwerklich haushoch überlegen. Jetzt würden Heerschaaren vorzüglich ausgebildeter Instrumentalisten über das ehemalige Zonenrandgebiet in den Westen einsickern und mit ihren Dumpingpreisen den Markt kaputtmachen. Im Schlepptau der DD R-Musiker kämen Ungarn, Bulgaren und wer weiß was noch; für uns würde nichts mehr übrig bleiben! Wenn wir dann vernichtet wären, würden sie die Preise langsam wieder anziehen, aber wir wären ja kaputt und nicht mehr in der Lage, uns nochmal aufzurappeln. Vielleicht würden uns hämisch grinsende Usbeken noch 1000 Mark für die Namensrechte an
Tiffanys
anbieten, Vogel friss oder stirb! Und wir wären froh darüber, überhaupt noch eine mickrige Abfindung zu erhalten. Niemand würde uns helfen, denn den Gästen wäre es in Wahrheit schnurzegal, ob sie von sächselnden Spitzenmusikern oder netten Amateuren aus der Heimat unterhalten würden. Und die Wirte hassten uns sowieso! Angesichts dieser Konjunkturerwartungen hieß es in Brunsbüttel einen guten Eindruck hinterlassen und beten, dass das Schicksal uns noch eine kleine Gnadenfrist einräumen möge.
In weiße Smokings gekleidet, eröffneten wir den Abend um Punkt zwanzig Uhr mit leiser Tischmusik. Auf allen größeren Veranstaltungen begannen wie erst in den Smokings und zogen uns meist gegen Mitternacht unsere rosa Sakkos an. Pink Panther Power! Was den Gästen wohl serviert würde? Als Erstes natürlich Suppe. Sie gehörte offenbar in die Kategorie
Klare Brühe
ohne groß was drin
, denn einige der Gäste verzogen übellaunig das Gesicht. Die Stimmung war ausgesprochen schlecht. Dann kam der Hauptgang. Schon von weitem erkannten wir die Bescherung. Es war tatsächlich das gleiche Essen, das auch uns serviert worden war! Laute Unmutsbekundungen.
Gibt’s ja wohl nicht! – Hundefutter! – Das lassen wir uns nicht gefallen!
Zum Nachtisch gab es Pudding, in den brennende Wunderkerzen gesteckt waren. Die Kerzen wollten sich in der weichen Masse jedoch nicht so recht halten, knickten nach den Seiten ab oder senkten sich in die fade süße Leckerei. Es war ein trauriger Anblick und wirkte, als ob jemand eine Persiflage auf die Serie
Das Traumschiff
inszeniert hätte, in der am Ende immer zu den Klängen der Bordkapelle von schneeweiß livrierten Stewards herrlichste Eisbomben serviert werden, in denen brennender Firlefanz steckt. Der persönlich anwesende Veranstalter entschied sich für einen überraschenden Schachzug: Er verließ den Saal, um zwei Minuten später mit dem Koch im Schlepptau zurückzukehren. Dann nahm er ein Mikro, um sich stellvertretend für alle bei dem eingeschüchterten Weißkittel für das gute Essen und das schöne Hotel zu bedanken. Seine Rechnung ging auf. Die geballte Aggression richtete sich jetzt gegen den Kü chenchef:
So kommst du uns nicht davon. Schlangenfraß. Wir wollen unser Geld zurück. – Wart mal ab, was heute noch passiert. – Abreißen, die Bude! – Mitternacht gibt’s Kochgulasch
.
Die Stimmung war auf dem absoluten Nullpunkt. Das würde schwierig für uns werden. Jens bestellte eine Runde Getränke, wie immer vier Bier und für mich Wasser. Plötzlich hatte ich eine spontane Eingebung. «
Fünf
Bier», korrigierte ich so unauffällig wie möglich die Bestellung. Ich hatte über zwei Jahre nichts getrunken und fand, dass es langsam wieder Zeit wurde für ein kleines Schlückchen. Tabletten nahm ich schließlich auch keine mehr, und irgendwann muss man ja mal damit anfangen, seine Süchte in den Griff zu bekommen. Ich wollte endlich wieder Herr im eigenen Haus sein, und damit basta! Bei den Kollegen mischten sich Erstaunen und Skepsis.
«Hört, hört. Heinzer wieder unter den Lebenden.»
«Leck mich doch am Arsch, endlich trinkt der Mann wieder was.»
«Prost, Prost, Kamerad.»
Von Norbert setzte
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