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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Kollege arbeitete mittlerweile im unübersichtlichen Hamburg und musste jeden Tag mit dem Nahverkehrszug eine halbe Stunde hin und eine halbe Stunde wieder zurück nach Hause juckeln. Sämtliche Abteile waren mit minderjährigen Sexbomben verseucht, die jede Fahrt zum Höllentrip machten.
    Im Februar 1993 stand ein neuer Job ins Haus: der Faslam in Hollenstedt. Faslam ist der norddeutsche Ausdruck für Fasching. Gemeinhin denkt man ja, dass nur die Rheinländer dieses Fest richtig zu feiern wissen. Doch auch in Norddeutschland gibt es zur
fünften Jahreszeit
eine große Zahl von Karnevalsveranstaltungen, bei denen zum Glück meist die lästigen Büttenreden weggelassen werden und es ohne Umwege zur Sache geht. Der Hollenstedter Faslam fand immer am letzten Februarwochenende im
Gasthaus Kroll
statt, das große Ähnlichkeit mit
Hotel Sievers
in Brunsbüttel hatte. Auch dieses Gebäude drohte jeden Moment einzustürzen und war schätzungsweise seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr renoviert worden. Als ich das erste Mal in die Gaststube kam, verstummten sogleich alle Gespräche, wie in Westernfilmen, wenn der unheimliche Fremde den Saloon betritt und einen Whiskey bestellt. Es lag ein stechender Geruch von Salbe in der Luft. Frau Kroll, die Chefin der unwirtlichen Herberge, stand hinter dem Thresen und fixierte mich stumm. Sie entsprach ganz dem Bild, das man sich voneiner untergetauchten K Z-Kommandeuse macht, die sich unter falschem Namen unbehelligt eine neue Existenz aufgebaut hat. Erbarmungslos herrschte sie über ihr Wirtshaus, Frau Kroll, die älteste Tochter Satans. Wie konnte man sich in diesem Klima der Angst freiwillig aufhalten? Es war mir ein Rätsel. ICH gehörte jedenfalls nicht hierher. Woher nahm ich überhaupt das Recht, die Gaststube zu betreten? Ich war ein Feind. Eine falsche Bemerkung, und ich würde sofort zum Abschuss freigegeben werden.
    «Entschuldigung, ich gehör zur Musik. Wo ist denn bitte der Festsaal?»
    «Hier jedenfalls nicht.»
    «Ach so.»
    Beim Rausgehen löste sich der durch dieses kurze Intermezzo angestaute Hass der Wirtin in einer ihrer berüchtigten Brüllattacken: «VERDAMMT NOCHMAL, VADIM, WIE LANGE BRAUCHST DU DENN NOCH FÜR ZWEIMAL CURRY POMMES. ICH PRÜGEL DICH GLEICH AUS DER KÜCHE!!!»
    Vadim war, wie ich später erfahren sollte, der russische Aushilfskellner, Hilfskoch, Mädchen für alles und persönlicher Haussklave von Frau Kroll. Wahrscheinlich hatte sie ihm die Papiere abgenommen, ihn unter Drogen gesetzt und einen Schuldschein unterschreiben lassen. Jetzt musste er die Schulden bis zum Ende seines Lebens abarbeiten. Ich glaube, dass Frau Kroll eine böse Frau war. Menschen wie sie sind dafür verantwortlich, dass kein Friede auf Erden einkehrt. Verängstigt suchte ich nach dem Festsaal, wo ich schweigend meine Instrumente aufbaute. Auch die Kollegen wirkten eingeschüchtert. Aber nichts deutete auf das Martyrium hin, das uns erwartete.
    Nach dem Soundcheck gingen wir nach vorn und setzten uns in geduckter Haltung an den Stammtisch, bemüht, nicht sogleich wieder den Hass der Wirtin auf uns zu ziehen. Doch wir hatten es schon vergeigt.
    «Das ist der Stammtisch, der ist ab 19   Uhr 30 reserviert.»
    Gurki machte daraufhin einen schweren Fehler: «Bis dahin sind wir längst wieder weg.»
    «SAG MAL, HABT IHR KARTOFFELN AUF DEN OHREN? DAS IST DER STAMMTISCH, DER IST RESERVIERT. DAS GIBT’S DOCH GAR NICHT. DAS ERSTE MAL HIER UND GLEICH SO WAS!!»
    Keiner von uns hatte die Kraft, mit Widerworten zu reagieren. Gegen Frau Kroll war einfach kein Kraut gewachsen. Noch ein falsches Wort, und sie würde uns richtig fertig machen.
    Frau Kroll ließ es sich nicht nehmen, uns die Schnitzel Pommes persönlich zu bringen. Laut knallte sie die Teller auf den Tisch und weidete sich an ihrer eigenen Schlechtigkeit. Wir machten, dass wir fertig wurden, und schlichen uns, natürlich ohne Zerhacker, wieder in den Festsaal.
    Der Faslamsvorsitzende war schon da, um uns über den Verlauf des Abends zu informieren. Die Veranstaltung hätte zwei Teile, einen offiziellen mit abschließender Wagenprämierung, dann käme der normale Tanzabend bis drei Uhr morgens. Aha. Jetzt trudelten langsam die zum Teil saudoof kostümierten Faslamsbrüder und -schwestern ein. Ich hatte früher immer mit Mutter
Mainz bleibt Mainz
sehen müssen. Ihgittihgitt! Fasching war für mich Nazi-Amüsement. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken daran, wie die bescheuerten Hollenstedter Epigonen mich in den nächsten

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